Verderbnis
bewegen, blieb einfach da stehen, wo sie war, geduckt, halb untergetaucht und mit weit aufgerissenen Augen, und wartete auf ein Geräusch von der anderen Seite der Luke.
51
B laulichter blitzten über die Hauswände in der schmalen Straße, und Sirenen heulten in der Ferne: Die Krankenwagen mit Janice und ihrer Mutter kämpften sich durch den morgendlichen Verkehr. Ungefähr fünfzig Leute aus der Nachbarschaft standen hinter der äußeren Absperrung und wollten sehen, was in dem unauffälligen Haus, vor dem sich die Polizei versammelt hatte, vorgefallen war.
Alle wirkten blass, schweigsam und ernst. Niemand konnte so recht fassen, dass da ein Kind vor ihrer Nase entführt worden war. Die Polizei hatte eine schwere Schlappe erlitten. Es wurde gemunkelt, der Chief Constable persönlich sei unterwegs, um sich ein Bild von dem Schlamassel zu machen. Die Telefondrähte glühten von Anrufen der Presse, und die Person im Zentrum des ganzen Wirbels war DC Paul Prody.
Er saß auf einer Bank vor einem kleinen Picknicktisch, der auf dem ungepflegten Rasenstück vor dem Haus deplatziert aussah. Er hatte das T-Shirt angezogen, das jemand ihm angeboten hatte, damit er nicht mehr nach Kotze stank – sein eigenes Hemd steckte in einer verschlossenen Plastiktüte zu seinen Füßen –, es aber abgelehnt, sich von den Sanitätern anfassen zu lassen. Er hatte Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht, musste die Arme auf den Tisch legen und sich auf einen Punkt am Boden konzentrieren. Ab und zu schwankte sein Oberkörper leicht hin und her, und jemand half ihm, sich aufrecht zu halten.
»Sie nehmen an, dass es eine Art Chloroform war, vielleicht hergestellt aus Bleichmittel und Azeton.« Caffery hatte dem Lockruf des Tabaks erneut nachgegeben. Er saß Prody gegenüber, rauchte eine Zigarette und beobachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. »K.o.-Gas. Ganz altmodisch. Wenn Sie Pech haben, schädigt es Ihre Leber. Deshalb gehören Sie ins Krankenhaus. Auch wenn Sie glauben, es geht Ihnen gut.«
Prody schüttelte den Kopf. Es sah aus, als könnte selbst diese kleine Bewegung ihn aus dem Gleichgewicht bringen. »Lecken Sie mich.« Es klang, als hätte er eine starke Erkältung. »Glauben Sie, Janice möchte mich im selben Krankenhaus sehen?«
»Dann in ein anderes.«
»Nein, verdammt. Ich werde einfach hier sitzen bleiben. Und atmen.«
Demonstrativ sog er die Luft in seine Lunge und stieß sie wieder aus. Ein, aus, ein, aus. Es tat weh. Caffery schaute schweigend zu. Prody hatte die Nacht bei Janice Costello verbracht, einer gefährdeten Person, und darüber war Caffery fast genauso erbost wie über die Sache mit dem Fall Kitson. Unter anderen Umständen hätte er vielleicht sogar Spaß daran gehabt zu sehen, wie Prody derartigen Mist baute, aber jetzt empfand er unwillkürlich ein bisschen Mitleid mit ihm. Er hatte Verständnis dafür, dass der Mann nicht im selben Krankenhaus wie Janice und ihre Mutter sein wollte. Nicht, nachdem er unfähig gewesen war, Emilys Entführung zu verhindern.
»Das wird schon wieder. Geben Sie mir zehn Minuten Zeit, dann kann ich gehen.« Er blickte mit blutunterlaufenen Augen auf. »Jemand hat gesagt, Sie wissen, wo er ist.«
»Wir sind nicht sicher. Wir haben eine Garage in Tarlton, in der Nähe des Kanals. Ein Team ist dran.«
»Irgendwelche Hinweise?«
»Noch nicht. Sie haben sich zurückgezogen. Vielleicht ist er jetzt mit Emily unterwegs dorthin. Aber …« Er kniff die Augen zusammen und spähte die Straße entlang. Die aneinandergereihten Häuser wurden in der Ferne immer kleiner. »Nein. Das würde er natürlich nicht tun. Es wäre zu einfach.«
»Sie wissen, dass er mein Telefon geklaut hat?«
»Ja. Es ist abgeschaltet, aber wir haben die Ping-Analyse des Standorts schon gestartet. Wenn er es einschaltet, können wir es orten. Aber wie gesagt, er ist zu clever. Wenn er es einschaltet, hat er einen Grund dafür.«
Der Tag war kalt, aber sonnig. Prody fröstelte. Er hielt den Kopf immer noch gesenkt, aber er warf einen finsteren Blick die Straße hinauf und dann in die andere Richtung. Die Berufstätigen befanden sich in der Arbeit, und die Mütter, die ihre Kinder zur Schule gebracht hatten, waren jetzt wieder zu Hause. Ihre Autos parkten ordentlich in den Einfahrten. Aber statt in ihre Häuser zu gehen, hatten sie sich bei der Absperrung versammelt und standen mit verschränkten Armen da und begafften die Polizei- und Krankenwagen. Ihre Blicke nagelten Caffery und Prody da fest,
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