Verfallen
wegschiebe, klirrt das Glas. Doch unter dem Kasten liegt nichts.
Ich richte mich auf und drehe mich zum Waldrand um. Er wirkt unheimlich nah, wie ein tintenschwarzer Schatten, massig und bedrohlich. Ich fange an, vor mich hin zu summen, ein ziemlich krampfhafter Versuch, mit meiner Angst fertigzuwerden.
Mein Blick fällt auf einige große Kiesel, die ein Stück von der Hintertür entfernt an der Grenze zwischen Betonrand und Wiese liegen. Ich rolle einen beiseite. Kleine Tiere huschen darunter hervor, ich nehme an, Mauerasseln, bin mir aber nicht sicher. In der Dunkelheit kann ich es nicht richtig erkennen. Unter dem zweiten Stein meine ich, Schnecken zu erkennen. Instinktiv blicke ich wieder zum Wald. Nebelschwaden kriechen aus dem Unterholz auf das Haus zu. Nicht mehr lange, und ich stehe bis zu den Knien im Bodennebel. In der Ferne jault ein Hund.
Was mache ich hier eigentlich?
An der Hauswand, ein paar Schritte neben der Hintertür, steht eine Metallgießkanne. Letzter Versuch: Wenn darunter kein Schlüssel liegt, steige ich in mein Auto und bin weg. Auf gar keinen Fall werde ich noch länger um dieses Haus herumschleichen. Höchstwahrscheinlich sieht morgen früh alles ganz anders aus und ich schäme mich für meine Angst, aber in diesem Moment erscheint sie mir durchaus berechtigt.
Ich hebe die Gießkanne an. Das Metall ist glitschig vor Feuchtigkeit und fühlt sich eiskalt an. Kein Schlüssel, nur nasser Beton und noch mehr Krabbeltiere.
Als ich die Kanne wieder hinstelle, ertönt ein schabendes Geräusch aus dem Inneren. Mit dem Handy leuchte ich hinein. Auf dem Boden liegt ein Schlüssel, silbrig, mit einem Plastikschild daran.
Zehn Sekunden später stehe ich im Haus.
7
Ich muss mich über das Gefühl hinwegsetzen, in Diannes Privatsphäre einzudringen, ja, bei ihr einzubrechen, wenn auch nicht mit Gewalt oder um etwas zu stehlen. In Diannes alter Wohnung am Stadtrand kannte ich jeden Winkel, doch dieses Haus ist mir völlig fremd. Meine Vorstellung davon beruhte lediglich auf den Fotos, die sie mir gemailt hatte.
Zögerlich schließe ich die Tür hinter mir ab und gehe weiter durch ins Wohnzimmer, das zur Küche hin offen ist. Ich schalte das Licht ein. »Dianne?«, rufe ich wider besseres Wissen. »Dianne? Ich bin’s!«
Küche und Wohnzimmer sind durch eine Wand getrennt, an der auf der Wohnzimmerseite eine Treppe nach oben führt. Ein für alte Häuser typischer Geruch liegt in der Luft, nach verbranntem Holz und verdunstendem Regen auf Asphalt. Die Eingangstür mündet direkt ins Wohnzimmer. Die Möbel sehen aus wie vom Sperrmüll: ein schmuddeliger Teppich, ein Wohnzimmertisch von unbestimmter Farbe und zwei ganz unterschiedliche Schlafsofas. Keinen dieser Gegenstände erkenne ich wieder.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass Dianne hier wohnt, dass das wirklich ihr neues Zuhause ist. Es sieht so anders, so fremd aus und gleicht in nichts den Häusern und Wohnungen, die mir vertraut sind. Dianne muss das Haus unverändert übernommen haben und scheint noch nicht dazu gekommen zu sein, sich einzurichten. Doch womit kann sie so beschäftigt gewesen sein?
Als mich die ersten Zweifel beschleichen, ob das tatsächlich ihr Haus ist, fällt mein Blick auf die Pinnwand in der Küche, an der so viele Broschüren, Rechnungen, Ansichtskarten, Notizen und Fotos hängen, dass kein Fleckchen Kork mehr sichtbar ist. Ich erkenne den Ausdruck eines Fotos von uns beiden, lachend und sonnengebräunt, die Sonnenbrillen auf die Stirn geschoben, letztes Jahr mit ihrem Handy aufgenommen. Bis vor Kurzem war dieses Foto mein Avatar auf Hyves, dem beliebtesten sozialen Netzwerk in den Niederlanden. Hinter einem Gutschein für den Supermarkt hängt ein vergilbtes Foto von Diannes Eltern, als sie noch zusammen waren. Doch ich entdecke keinen Brief oder Zettel, der ihre Abwesenheit erklärt.
Neugierig steige ich die Treppe hinauf. Die Stufen geben leicht unter meinen Füßen nach und knarren leise. Im oberen Stockwerk wird das Gefühl stärker, etwas Verbotenes zu tun. Ich taste an der Wand nach dem Lichtschalter. Eine Energiesparbirne auf dem Treppenabsatz leuchtet mit Verzögerung auf, gibt aber genügend Licht, um alles erkennen zu können. Drei Türen münden auf den Flur.
Ich stoße die erste auf: ein vorsintflutliches, schimmelig riechendes Badezimmer, fensterlos und vom Boden bis zur Decke mit abscheulich braun-grün gemusterten Kacheln gefliest. Die nächste Tür führt zu einem L-förmigen Schlafzimmer mit
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