Verfallen
Kind nannte ich sie Soldatenbäume.
Der »Waffenkeller« erweist sich als schmales, lang gezogenes Geschäft mit Teppichfliesen und Neonröhren an einer abgehängten Decke. Doch das ist nicht das Erste, was mir beim Hereinkommen auffällt. Ich bin überwältigt von der Menge an Feuerwaffen und Zubehör, mit dem die Wandvitrinen bis obenhin gefüllt sind. Pistolen, Jagdflinten und -büchsen. Stromstoßwaffen, Schlagringe, Schlagstöcke. Wurfmesser, Butterflymesser, Schwerter und mittelalterliche Waffen. Zögernd gehe ich daran vorbei, verwundert und schockiert. Auf den Besitz solcher Mordwerkzeuge stehen in den Niederlanden hohe Strafen bis hin zu Gefängnis. Hier jedoch werden die Waffen offen in einem frei zugänglichen Geschäft zur Schau gestellt und warten auf Käufer. Ansprechend präsentiert und vorschriftsmäßig ausgezeichnet. Als seien es Gartengeräte.
Auf keiner der Verpackungen, Broschüren und Reklameplakate ist eine Frau abgebildet. Dies ist eine Männerwelt. Eine Welt ernst dreinblickender, stolzer Männer. Männer in Tarnanzügen im Wald, Männer mit Gehörschutz und einer Pistole in beiden Händen, Männer mit gewölbter Brust, das Gewehr lässig über der Schulter, Männer mit einem Fuß auf einem toten Wildschwein.
Schon von der Aufmachung des Ladens wird mir speiübel. Die Aggression, die von ihr ausgeht, ist förmlich spürbar. Nichts von dem, was hier verkauft wird, ist unschuldig, nicht einmal die niedlich aussehenden Lockenten und Plastikkaninchen. Alles dient nur dem einen Ziel: ein lebendes Wesen zu verletzen, unschädlich zu machen oder zu töten.
Ein Typ mit gestutztem grauen Bart kommt zu mir nach vorn. Er begrüßt mich förmlich, ein Lächeln ist nicht drin. Dem Geruch nach vermute ich, dass ich ihn bei seiner Kaffeepause gestört habe.
»Sie wünschen?«
» Une bombe au poivre , bitte.«
» Pour utiliser à l’intérieur ou à l’extérieur? «
Für drinnen oder draußen? Woher soll ich das vorher wissen? »Gibt’s da einen Unterschied?«
Der Mann murmelt etwas und führt mich zum Tresen. Er nimmt verschiedene Dosen Pfefferspray von einem Regal, stellt sie auf die Glasplatte und setzt zu einer Erklärung an.
Hinten im Geschäft erkenne ich durch eine offene Tür einen weiß gekachelten Raum, vielleicht eine Teeküche. Durch den Spalt sehe ich, wie zwei Füße in abgelaufenen Bergschuhen ungeduldig auf und ab wippen.
»Geben Sie mir beide«, sage ich und deute auf eine billige Dose, die eine Art Gas versprüht, und eine teurere, die laut Verkäufer die neueste Generation dieser Sprays enthält. Sie funktioniert sogar noch, wenn sie ins Wasser gefallen ist und versprüht ein Cayennepfeffergel vier Meter weit, sodass man den Angreifer nicht zu nahe an sich heranlassen muss. Das Gel haftet an dem Angreifer wie Leim und hinterlässt eine schwer abwaschbare, grellorangefarbene Tinte.
Ich ziehe meine Bankkarte durch den Automaten und gebe den PIN-Code ein. Es dauert eine Weile, bis die Quittung gedruckt wird. Der Apparat knirscht verdächtig.
Der bärtige Verkäufer wickelt meine Dosen in dünnes Papier und steckt sie in eine Plastiktüte. »Sie kommen bestimmt aus dem Ausland?«
»Stimmt, aus den Niederlanden.«
»Das dachte ich mir schon. Hierher kommen viele Niederländer, vor allem im Sommer. Zu dieser Jahreszeit dagegen so gut wie keine.« Neugierig betrachtet er mich. »Wohnen Sie hier, oder sind Sie auf der Durchreise?«
»Ich bin zu Besuch bei einer Freundin, die hier in der Nähe wohnt.«
»Auch Niederländerin?«
Ich nicke.
Endlich sind die Quittungen ausgedruckt. Ich nehme sie von ihm entgegen und stecke sie in meine Tasche.
Hinten im Geschäft wird die Tür geöffnet. »Ich bin dann mal weg, Eric!« Französisch mit einem starken Akzent – einem starken niederländischen Akzent.
Reglos bleibe ich an der Kasse stehen und starre entsetzt den Mann an, der in der Tür erschienen ist.
Ein Meter fünfundachtzig, fit und durchtrainiert. Bergschuhe, fleckige Jeans. Darüber eine genauso schmutzige, weite Armeejacke. Er hat raspelkurz geschnittene Haare und eckige, schwarze Augenbrauen. Graue Augen. Eine beängstigend starke, fast übernatürliche Ausstrahlung umgibt ihn.
Ich kenne diesen Mann.
Ich habe nie verstanden, was Dianne an ihm so anziehend fand.
22
Hugo Sanders, Reiche-Leute-Söhnchen, verwöhnt bis auf die Knochen. Sein Vater ist Bauunternehmer, und er hat von seinen Eltern alles bekommen außer einem netten Gesicht und einem sympathischen
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