Verfallen
wieder zurück?«
»Um ehrlich zu sein: Ich habe keine Ahnung. Ihretwegen mache ich mir auch große Sorgen. Ich kann sie nicht erreichen. Ihr Handy ist ausgeschaltet, und sie reagiert nicht auf E-Mails.«
Chevalier verlagert das Gewicht. »Wann hatten Sie zum letzten Mal Kontakt mit Ihrer Freundin?«
Ich muss kurz nachdenken. In den letzten Tagen ist so viel geschehen, es könnten Monate vergangen sein. »Ungefähr vor einer Woche. Wir haben gemailt.«
»Wusste sie, dass Sie kommen würden?«
»Ja. Wir haben uns beide schon lange auf ein Wiedersehen gefreut. Aber durch bestimmte Umstände bin ich schon sechs Tage früher eingetroffen. Im Prinzip rechnet sie erst am Samstag mit mir.«
Er hebt die Hände. »Ah! Sie könnte also in Urlaub gefahren sein? Oder sie liegt im Krankenhaus, haben Sie daran schon einmal gedacht? Oder sie ist auf Besuch bei Verwandten?« Man merkt, dass die Polizei öfter mit verschwundenen Personen zu tun hat. Chevalier schaltet schneller als ich.
»Nein, das erscheint mir alles unwahrscheinlich. In dem Fall hätte ihre Mutter davon gewusst, mit der habe ich gestern noch gesprochen. Außerdem hätte Dianne mir davon erzählt, wenn sie ins Krankenhaus gemusst oder in Urlaub hätte fahren wollen. Wir stehen uns sehr nah. Ich sehe keinen Grund, warum sie mir so etwas verschweigen sollte.«
Chevalier erweckt bei mir nicht den Eindruck, dass ihn meine Geschichte noch sonderlich interessiert. Er hat aufgehört, sich Notizen zu machen, und blättert in einem Stapel Computerausdrucken auf seinem Schreibtisch. Hört er mir überhaupt noch zu?
Ein wenig lauter insistiere ich: »Warum sollte sie mir nichts davon erzählt haben?«
»Wie Sie eben schon sagten: weil sie Sie noch nicht erwartete. Sie wird am Wochenende schon wieder auftauchen.« Er blickt auf. »Oder wollen Sie sie ganz offiziell als vermisst melden?«
Ich habe bereits daran gedacht, mehrmals sogar, aber als er es jetzt ausspricht, klingt es auf einmal so folgenschwer: vermisst. Meine beste Freundin, vermisst im Ausland. Doch wie sicher bin ich mir eigentlich, dass sie tatsächlich verschwunden ist?
Chevalier erhebt sich von seinem Schreibtisch. »Na schön. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden? Ich kann leider nichts weiter für Sie tun.«
Bestürzt erwidere ich: »Aber warum denn nicht? Ich will Anzeige wegen Einbruchs erstatten und …«
»Aber es wurde doch nichts entwendet?«
»Ich sagte, ich weiß es nicht. Das heißt aber nicht, dass tatsächlich nichts gestohlen wurde.«
Plötzlich fällt mir der Vorwurf ein, den mir die Jäger gestern an den Kopf geworfen haben: Oder wolltest du wieder etwas klauen?
»Ich habe gestern mit einigen Jägern gesprochen«, sage ich schnell. »In der Nähe des Hauses meiner Freundin. Vielleicht kennen Sie sie, einer von ihnen heißt Régis Beau. Sie waren nicht besonders freundlich. Einer hat mich sogar gefragt, ob ich wieder etwas klauen wolle. Er hat mich des Diebstahls bezichtigt, obwohl ich noch nie hier war!«
Chevalier blickt mich skeptisch an. »Klauen?«
»Ja. Meinen Sie, es könnte da einen Zusammenhang geben? Dass jemand in der Jagdhütte und jetzt auch bei meiner Freundin eingebrochen hat?«
Chevalier bleibt fast reglos stehen und scheint angestrengt nachzudenken. Nach einer langen Pause sagt er: »Sie sprechen gut Französisch für eine Ausländerin, aber Sie müssen trotzdem in Erwägung ziehen, dass Sie die Herren vielleicht falsch verstanden haben.«
»Nein, das glaube ich nicht.«
Er seufzt. »Wenn in die Hütte eingebrochen wurde, wie Sie behaupten, warum wurde der Einbruch dann nicht gemeldet?«
»Keine Ahnung.«
Chevalier zieht eine Zigarette aus der Brusttasche und rollt sie nachdenklich zwischen den Fingern hin und her. »Gut. Wir vereinbaren Folgendes: Die Hauseigentümerin nimmt mit uns Kontakt auf, sobald sie zurück ist. Das heißt, falls wirklich etwas fehlt. Mir scheint, dass Ihre Freundin das als Einzige beurteilen kann.« Dann verabschiedet er mich mit einem kurzen Wink zur Tür und geht mir schon einmal voraus.
Ich rühre mich nicht von der Stelle. »Ist das alles? Wollen Sie die Tür nicht auf Fingerabdrücke untersuchen? Oder wenigstens jemanden vorbeischicken, der sich den Schaden einmal ansieht?«
»Leider kommt es öfter vor, dass Gruppen gelangweilter Jugendlicher sich an einsam stehenden Häusern austoben. Für junge Leute gibt es hier wenig Abwechslung neben der Arbeit und dem Sport. Deshalb kommen manche von ihnen ab und zu auf
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