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Verfallen

Titel: Verfallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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nicht mit einer neuen Flamme Hals über Kopf in Urlaub gefahren, angenommen, ihr Handy, ihr Computer und ihre Internetverbindung funktionieren einwandfrei und es gibt somit keinen plausiblen Grund für ihre Abwesenheit?
    Ich finde es schockierend, wie der Polizist darüber hinweggegangen ist, dass Dianne möglicherweise spurlos verschwunden ist. Gerade jetzt, nachdem sich in nächster Nähe ein so scheußliches Drama abgespielt hat, müsste die Polizei doch bei solchen Vermutungen hellhörig werden.
    Mord. Zweifacher Mord. Die Worte, die Chevalier so erschüttert ausgesprochen hat, spuken mir jetzt im Kopf herum.
    … im eigenen Haus brutal ermordet.
    … sie wurde zwei Tage später gefunden.
    … abgeknallt wie ein wildes Tier.
    … im vierten Monat schwanger.
    Nein. Ich kann nicht nach Hause fahren.
    Als ich auf die Landstraße abbiege, frage ich mich, ob Dianne auch manchmal nachts am Fenster gestanden und das Irrlicht gesehen hat. Ob bei ihr schon einmal Scheiben eingeworfen wurden? Gab es bereits einen Einbruch?
    Ados , hat Chevalier behauptet – Jugendliche. Handelte es sich wirklich nur um vergleichsweise harmlosen Vandalismus? Oder steckt mehr dahinter?
    Die Dorfbewohner sind zweifellos die unsympathischsten Menschen, denen ich je begegnet bin. Im Vergleich zu ihnen kommt mir Sjef geradezu wie ein netter Kerl vor. Wurde Dianne genauso feindselig empfangen wie ich?
    Wie dem auch sei: Wenn sie bis Samstag noch nicht wieder da ist – an dem Tag, den wir seit Monaten in unseren Kalendern rot angestrichen haben –, werde ich Alarm schlagen. Dann werde ich sie bei der Polizei als vermisst melden und auch ihrer Mutter, meinen Eltern, meinen Brüdern und unseren Freunden Bescheid geben. Allen.
    In der Zwischenzeit kann ich nichts unternehmen, außer zu hoffen, dass Dianne bald zurückkehrt und sich das Ganze als ein riesiges Missverständnis herausstellt.

21
    Das Chasse & Pêche, das ich im centre commercial am Rande der nächsten größeren Stadt ausfindig gemacht habe, hat kein Pfefferspray vorrätig.
    Der Verkäufer, ein magerer Mann, der eher einem Pianisten als einem Waffenhändler gleicht, lacht viel, reißt Witzchen und sortiert behände grellbunte Schwimmer für Angler. Im vorderen Bereich des Geschäfts stehen Regale mit Angeln und Behälter mit glitzernden, neonfarbenen Kunststofffischchen. Weiter hinten hängen Funktionskleidung und Gewehre. Der Mann weist mit einer seitlichen Kinnbewegung in die Waffenecke und erklärt: »Pfefferspray kommt erst Montag wieder rein.«
    Aber so lange kann ich nicht warten.
    Er ist so freundlich, mich an ein Waffengeschäft in der Innenstadt zu verweisen.
    Auf dem Weg dorthin bricht die Sonne durch die Wolken. Nicht blass und schüchtern, sondern so kraftvoll und strahlend, wie sie nur in Südfrankreich scheint. Das warme Herbstlicht färbt die Asphaltstraße und die Häuser sepiabraun ein, die Hügel in der Ferne leuchtend ockerfarben.
    Am Straßenrand buhlen Werbetafeln um die Aufmerksamkeit der Passanten. Manche stehen auf Pfählen, andere hängen an Hauswänden. Carrefour hat Gemüse von Bonduelle im Angebot, Versicherungen schließt man bei BNP Paribas ab, und bei »Vet«, einer Billigmodekette, sind diesen Monat die Nachthemden günstig.
    Was Le Paradis und Umgebung an Betriebsamkeit und Abwechslung vermissen lässt, macht die vierzig Kilometer entfernte Stadt doppelt und dreifach wieder wett. Regelmäßig muss ich für Fußgänger bremsen, Motocross-Maschinen knattern durch die Straßen, halbwüchsige Schüler stehen rauchend an einer Bushaltestelle, und alte Damen führen ihre Hunde Gassi. Es scheint, als seien alle Bewohner aus ihren Häusern geschwärmt, um die letzten Sonnenstrahlen zu genießen, bevor endgültig der Winter hereinbricht.
    Die Sonne lässt die ganze Gegend buchstäblich in einem anderen, positiveren Licht erscheinen. Das Stadtzentrum könnte ohne Weiteres als Schauplatz für einen historischen Film dienen: runde Wachtürme, die über die Stadtmauer emporragen, Balkone aus dunklem Holz, gelbe Lehmfachwerkhäuser mit diagonalen Balken, zahlreiche Kopfsteinpflastergässchen und kleine Geschäfte mit regionalen Produkten. Ich passiere zwei kleine Hotels und ein Schild, das zum Fremdenverkehrsamt weist.
    Ich stelle mein Auto auf einem öffentlichen Parkplatz neben einer Reihe von Platanen ab. Obwohl diese typischen Stadtbäume ihr Laub bereits abgeworfen haben, sind sie gut an ihrer gefleckten Rinde erkennbar, die an ein Tarnmuster erinnert. Als

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