Verfallen
konnte.
Der Mann löste sich von seiner Freundin, ging einen Schritt zur Seite und nickte ihr zu, wie ein Vater, der sein Kind ermuntert: Mach schon.
Du kannst es.
Der Rückschlag der Pistole riss ihre Hände hoch.
41
Ich habe mich in der Toilette des Krankenhauses ein wenig frisch gemacht, stinke aber immer noch drei Meilen gegen den Wind.
Niemand setzt sich neben mich; lieber lehnen sich die Leute an die Wand, mehrere Meter von der Bank im Wartezimmer entfernt. Unauffällig werfen sie einander vielsagende Blicke zu. Ich ignoriere sie. Ich habe wahrhaftig Wichtigeres im Kopf.
Dianne wurde abtransportiert. Unmittelbar nach unserer Ankunft wurde sie von zwei Krankenschwestern auf einem Krankenhausbett zwischen zwei Schwingtüren hindurchgeschoben.
Erwin wird von einem jungen Arzt behandelt, der ihm jetzt gerade den Unterarm verbindet. Ich sehe Erwin durch die offen stehende Tür dort sitzen, ein wenig betreten, sein dunkles Haar stumpf im Licht der Neonröhre. Ich wollte helfen, für ihn dolmetschen und ihm die Hand halten, wurde aber von einer schnippischen Schwester auf den Flur gescheucht.
Ganz am Ende der Bank sitzt eine schweigsame dunkelhäutige Frau mit einem Kind auf dem Schoß. Auf der anderen Seite des Raumes lehnt ein älterer Mann mit geröteten Augen und einem auffälligen Feuermal am Hals an der Wand. Eben wurden zwei Jugendliche hereingebracht, beide sturzbetrunken. Einer von ihnen war durch eine Schaufensterscheibe gefallen und hatte sich eine Arterie an der Hand aufgeschnitten. Er sitzt neben Erwin im Behandlungszimmer. Sein Freund wartet an der Tür und versucht, vor einer Gruppe junger Mädchen seine Unsicherheit zu überspielen. Es ist die Nacht von Freitag auf Samstag, das Wochenende hat gerade begonnen, und die Ambulanz ist hauptsächlich die Domäne der jungen Leute.
Ich sehe, wie sich Erwin und der Arzt die Hand schütteln. Bleich tritt er hinaus auf den Flur und kommt ins Wartezimmer. Er setzt sich neben mich auf die Bank. »Schon etwas Neues von Dianne?«
»Nein.« Ich weise mit dem Kinn auf seinen verbundenen Arm. »Tut’s noch weh?«
»Ist auszuhalten. Und wie geht es dir?«
Ich bin erschöpft. Körperlich und seelisch. »Ich habe das Gefühl, eine Woche lang schlafen zu können«, antworte ich.
»Kein Wunder.«
Erwin sieht sich meinen Kopf an und befühlt vorsichtig die Beule und die verkrustete Wunde. »Wenn man es nicht weiß, sieht man gar nichts. Tut das noch weh?«
»Geht so.« Ich starre ausdruckslos vor mich hin und trinke einen großen Schluck von meinem Wasser. Weiter hinten im Flur steht ein großer Behälter; ich habe schon fünf Becher getrunken.
»Bestimmt kommt gleich die Polizei«, bemerkt Erwin.
»Glaube ich auch.«
Schweigend sitzen wir nebeneinander, zu erschöpft, um eine Unterhaltung in Gang zu halten. Ich betrachte Erwins Arm mit dem frischen Verband. Eine von Hugos Kugeln hat ihn getroffen. Kurz bevor er ins Auto gesprungen ist, hat sie eine sieben Zentimeter lange Furche in das Muskelgewebe seines Unterarms gezogen. Unfassbar, dass Erwin die Wunde hat verbergen können. Dass er weder etwas gesagt hat noch sich etwas anmerken ließ und uns einfach ins Krankenhaus gebracht hat.
Ich blicke ihn von der Seite an. »Hat Dianne dir erzählt, wo sie in den letzten Wochen gewesen ist?«
»Ja, in einem leerstehenden Haus.«
»Was soll das alles, Erwin?«
»Sie hat von Informationen geredet, Hintergrundinformationen, nach denen sie auf der Suche war. Und sie war dabei, sich zu bewaffnen. Sie hatte von einer Gruppe Jäger eine Büchse gestohlen.«
Ich denke an die Jäger in der armseligen Hütte im Wald zurück. »Willst du uns wieder beklauen?«, hatte mich einer von ihnen gefragt – so etwas in der Art. Damals konnte ich mit seiner Bemerkung nichts anfangen, sondern tat sie als Misstrauen, Triezerei oder Feindseligkeit ab. Doch jetzt erhalten die Worte eine ganz andere Bedeutung.
Das einsame Irrlicht, das ich in der Nacht zuvor im Wald gesehen hatte, war das Dianne gewesen?
»Deine Freundin ist mir unheimlich, Eva«, fährt Erwin fort. »Tut mir leid, aber sie ist wirklich total durchgeknallt.«
Ich widerspreche ihm nicht mehr. Es weiterhin zu leugnen hat keinen Sinn. Diannes Fanatismus, dieser Eifer, den ich immer so sehr beneidet habe, hat eine fatale Wendung genommen. Es schmerzt mich, sie so sehen zu müssen, wie sie geworden ist: als eine Person, die die Orientierung verloren hat. Eine Frau, die Gut und Böse nicht mehr voneinander
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