Verfallen
dass Chevalier oft Kontakt zu Hugo hatte. Kann er nicht gegen ihn aussagen?«
Godin lacht verbittert. »Das hat er sogar schon getan, ansatzweise jedenfalls. Im Hotelzimmer hat er doch darauf angespielt, dass Sanders den Mord an Bernard Bonnet auf dem Gewissen hat. Aber das allein reicht nicht. Vorläufig können wir nur Chevalier selbst festnageln, wegen des Mordes an Patricia Bonnet.« Godin seufzt. »Na schön, dann mache ich mich mal wieder an die Arbeit. Sollte Ihnen noch irgendetwas einfallen …«
»Dann rufe ich sofort an. Aber Sie wissen ja schon alles.«
Wir beenden das Gespräch, nachdem mir Godin versprochen hat, sich wieder zu melden, sobald es etwas Neues gibt.
Ich bleibe eine Weile schweigend im Dunkeln stehen, bevor ich in die Küche zurückkehre.
»Klang wie ein Anruf aus Frankreich«, bemerkt mein Vater.
»Stimmt, war es auch.« Ich setze mich wieder an den Küchentisch und kratze die letzten Reste Eintopf vom Teller.
Meine Mutter räumt schon den Tisch ab. »Etwas Neues von Hugo Sanders?«
»Sie haben ihn festgenommen.«
»Gut so! Hoffentlich wandert er für den Rest seines Lebens hinter Gitter.«
Ich nicke nur und erwähne nichts von den mageren Beweisen und den Spitzenanwälten. Hugos Vater wird alles daransetzen, um seinen verlorenen Sohn aus den Klauen des Gesetzes zu befreien. Und es sieht ganz danach aus, als würde ihm dies gelingen.
Meneer Sanders ist exorbitant reich. Letzte Woche habe ich ihn und seine Unternehmen ausgiebig gegoogelt und dabei erfahren, dass die Familie Immobilien in fünf Ländern besitzt. Es würde mich nicht wundern, wenn auch das beeindruckende Landhaus in Frankreich der Familie Sanders gehörte.
»Eine Tasse Kaffee, Eva?«
»Ja, gerne.«
Meine Mutter summt vor sich hin, während sie die Bohnen für die Kaffeemaschine abmisst und mein Vater die Töpfe in die Spülmaschine stellt. Die Atmosphäre ist so friedlich, dass ich beinahe misstrauisch werde.
Entweder haben meine Eltern tatsächlich aufgehört, sich ständig zu kabbeln, weil die Therapie Früchte trägt, oder sie reißen sich zusammen, weil ich da bin. Vielleicht resultiert ihr Waffenstillstand auch aus dem Schock, den Diannes Tod verursacht hat, und dem Bewusstsein, dass sie genauso gut auch mich hätten verlieren können. Wer weiß, ob sie dadurch nicht ihre Prioritäten geändert und begriffen haben, dass ihre Zeit viel zu kostbar ist, um sie mit Streiten und Schmollen zu vergeuden.
Wenn ich mir ansehe, wie glücklich sie jetzt sind und wie sorglos sie wirken, weiß ich, dass es besser ist, ihnen nicht alles zu erzählen. Ich lasse sie in dem Glauben, Hugo sei sicher hinter Schloss und Riegel und werde nie wieder auf freien Fuß gesetzt. Und ich lasse sie in dem Glauben, dass Dianne nichts Böses getan hat, sondern nur zur falschen Zeit am falschen Ort war. Siebenundzwanzig Jahre lang haben diese beiden Menschen versucht, mich vor schlechten Nachrichten und düsteren Zukunftsaussichten in Schutz zu nehmen – jetzt tue ich dasselbe für sie. Das ist nicht besonders schwierig, genauso wenig, wie sie öfter zu besuchen. Jetzt, wo Dennis in Nijmegen lebt und Charles in Amsterdam, bin ich schließlich ihr einziger Sprössling, der noch in ihrer Nähe wohnt.
Der Gedanke, dass Dianne, die ebenso sehr zu uns gehörte, nie mehr zu Besuch kommen wird, steht unausgesprochen zwischen uns.
Gut eine Stunde später radle ich nach Hause. Es ist schon dunkel, aber das stört mich nicht. Wenn das Schicksal zuschlägt, so weiß ich jetzt, dann keineswegs immer nur in dunklen Gassen – meine Entführer sind am helllichten Tag in ein abgeschlossenes Haus eingedrungen.
Ich schiebe mein Fahrrad in die kleine Diele, schließe die Tür hinter mir und schiebe es weiter durch die Küche auf den Hof nach draußen. Das Profil der Reifen hinterlässt eine nasse Spur auf dem Holzfußboden im Wohnzimmer. Im Hof, der inzwischen einigermaßen anständig aussieht, lehne ich das Rad an die Wand.
Letzte Woche habe ich gründlich aufgeräumt: Ich habe das durchgeweichte Stück Teppichboden weggeworfen, die Bierkästen in den Supermarkt gebracht, das Unkraut mit einem Messer aus den Fugen gekratzt und gründlich gekehrt. Ich finde, dass es hier jetzt schon weniger nach Studentenbude aussieht.
Zurück im Wohnzimmer schenke ich mir ein Glas Bacardi-Cola ein, steige die Treppe hinauf und schlüpfe in einen Jogginganzug. Im Schneidersitz sinke ich aufs Bett, klappe meinen Laptop auf und mache da weiter, wo ich heute
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