Verfallen
Fernbedienung die Lautstärke des Fernsehers herunter.
»Wir mussten leider Hugo Sanders aus der U-Haft entlassen.«
Ruckartig setze ich mich auf. »Wann?«
»Er verlässt gerade das Gebäude, begleitet von seinem Vater und einem seiner Anwälte.« Godin nennt einen Namen, den ich nur teilweise verstehe. »Ein Promi-Anwalt, den man hier aus dem Fernsehen kennt. In der Provinz lässt er sich normalerweise kaum blicken.«
»Spielt das eine Rolle?«, frage ich gereizt. »Dass man den Anwalt aus dem Fernsehen kennt?«
»Nein, aber er ist wirklich sehr gut. Ohne sein Eingreifen hätten wir Sanders länger festhalten können. Dann hätten wir ihn vielleicht noch mehr unter Druck setzen und doch noch etwas aus ihm herausquetschen können. Aber die Chance ist jetzt vertan. Wir können ihm nichts anhaben. Wir haben keinerlei Beweise, weder Spuren noch DNA , rein gar nichts.«
»Ja, aber … das ist ungerecht!«
Er lacht freudlos. »Stimmt. In unserem Beruf lernt man schnell, dass Recht haben und Recht bekommen zweierlei sind. Man kann nicht immer gewinnen. Wie auch immer …« Er seufzt tief. »Ich hatte versprochen, Sie auf dem Laufenden zu halten, was hiermit geschehen ist. Ich wünsche Ihnen trotzdem noch einen angenehmen Tag.«
Ich wünsche ihm auch alles Gute und beende das Gespräch. Dann trinke ich ein paar Schlucke von meinem Kaffee, aber das schwarze Gebräu schmeckt mir nicht mehr.
Hugo kann heute noch in den Niederlanden eintreffen. Bei seinen Beziehungen braucht er sicher nicht die ganze Strecke mit dem Auto zu fahren oder auf einen Linienflug zu warten. Leute, die sich solche Anwälte leisten können, reisen mit Privatflugzeugen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich Hugo schon heute oder morgen in der Stadt oder im Supermarkt treffe, ist keineswegs gering.
Ich gehe die Treppe hinauf, wecke meinen Laptop aus seinem Schlummer und öffne die Datei, an der ich seit meiner Rückkehr aus Frankreich arbeite.
Diannes E-Mails und ihre Liste mit Namen und Adressen sind darin gespeichert. Anhand meiner Recherchen habe ich sie weiter ergänzt: durch wichtige Informationen über extremistische Umweltschützer, Material über Hugo Sanders und seine Familie, Fotos von Kurt Wesemann sowie verschiedene Zeitungsberichte – darunter einer über den unaufgeklärten Mord an dem Hundezüchter in Flandern.
Ich weiß noch nicht genau, was ich mit der stetig wachsenden Flut von Daten, Namen, Zusammenhängen und anderen Informationen anfangen werde. Aber das Puzzle nimmt immer mehr Gestalt an, weil ich jeden Tag daran arbeite.
Ich gehe auf die Website des Unternehmens der Familie Sanders, ein Immobilienimperium namens Wouthil Investments – zweifellos eine Kombination aus den Vornamen von Hugos Eltern, Wouter und Hilde. Ich habe nur zwei Fotos von dem Ehepaar gefunden. Jedes Jahr rangieren sie unter den fünfhundert Reichsten im Lande, lassen sich aber selten bei gesellschaftlichen Anlässen blicken, und trotz ihrer Millionen sind die Sanders nie in eines der Reichen-Reservate im Westen des Landes gezogen, sondern wohnen noch immer auf ihrem kleinen Landsitz in Haren.
Auf der Seite der Handwerkskammer muss ich mich durch die Einträge diverser GmbHs und Tochterfirmen kämpfen, bis ich die Quelle gefunden habe, aber irgendwann erscheint endlich die Adresse der Familie Sanders auf dem Bildschirm. Sie wohnen nur etwa elf Kilometer Luftlinie entfernt. Ich speichere eine Kopie des Auszugs, suche mit Hilfe von Google Earth das Haus, kopiere das Bild, packe es in eine Word-Datei und speichere es in meiner Akte.
Nervös blättere ich den Ordner mit den gesammelten Fotos durch. Meine Finger umklammern die Maus, als ich zu dem Bild von Hugo komme. Es ist ein Urlaubsfoto. Er ist glatt rasiert und trägt seine Haare wesentlich länger als jetzt. Minutenlang starre ich schweigend auf den Bildschirm, bis sich der Bildschirmschoner automatisch einschaltet und das selbstbewusste Glitzern in Hugos Augen hinter einem bunten Linienspiel verschwindet.
Doch selbst dann noch habe ich das Gefühl, dass er mich ansieht.
52
»Bist du schon wieder im Internet?« Erwins schlaftrunkene Stimme durchbricht die Stille der letzten drei Stunden.
»Ich konnte nicht schlafen«, murmele ich. Meine Muskeln sind steif vom stundenlangen Sitzen in derselben Haltung.
»Immer noch deine Akte?« Er setzt sich im Bett auf, gähnt vernehmlich und schaltet das Nachttischlämpchen ein. »O nein. Fünf Uhr morgens.«
»Ich habe die Adresse von Danny Malfait
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