Verfallen
Augen hat Hugo von seiner Mutter.
»Er hat meine Freundin ermordet.«
Hilde Sanders presst die Lippen aufeinander. »Hugo, zeigst du der Dame bitte den Weg zur Tür?«
Hugo marschiert prompt über den Granitfußboden auf die Haustür zu und hält sie für mich auf.
»Du hast es gehört. Raus hier.«
Zitternd vor Zorn blicke ich Hilde Sanders in die Augen, die Arme eng am Körper, die Fäuste geballt. »Haben Sie gehört, was ich gesagt habe? Ihr Sohn ist ein Mörder! Ein Frauenmörder!«
Sie runzelt die Stirn, als hätte ich dummes Geschwätz von mir gegeben, dreht sich um und geht ins Wohnzimmer.
Die Windhunde spitzen die Ohren, als sich ihr Frauchen nähert, springen vom Sofa und folgen ihr mit gekrümmten Rücken, als sie weiter in die Küche geht.
Hugo steht noch immer an der Tür und starrt mich an. Sein Blick ist jetzt genauso leer und emotionslos wie der seiner Mutter. Wind umspielt seine Kleider, fegt in die Diele, raschelt in der Kunstblumendekoration.
Was wollte ich hier eigentlich?, frage ich mich.
Was hoffte ich, hier zu finden?
Habe ich wirklich geglaubt, es würde etwas ändern, wenn ich Hugo in die Augen sehen könnte? Hatte ich wirklich gehofft, dass es ihm leidtäte – dass er mir sagen würde, er habe Dianne aufrichtig geliebt und das alles nicht gewollt?
Ich habe das Gefühl überzulaufen, von einer Welle der Emotionen und Schmerzen überschwemmt zu werden, die mir die Kehle zuschnürt und mir die Tränen in die Augen treibt. Ich balle die Hand zur Faust und drücke sie gegen meinen Mund.
Dann renne ich los, an Hugo vorbei, hinaus zu meinem Auto.
Mein zwölf Jahre alter Citroën passt nicht in dieses Ambiente von weißem Kies und perfekten, zu viereckigen Säulen gestutzten Buchsbaumhecken. Ich hole den Schlüssel aus der Tasche, lasse ihn aus den zitternden Fingern fallen und hebe ihn fluchend auf.
Ich schaffe es nicht auf Anhieb, den Schlüssel ins Türschloss zu stecken. Mein Blick ist getrübt, meine Hände beben unkontrolliert.
Als ich die Tür endlich geöffnet habe, sehe ich Hugo noch immer in der offenen Haustür stehen. Gespielt desinteressiert lehnt er am Türpfosten.
Dieses Bild von ihm in diesem Haus mit seinem parkähnlichen Garten sagt mir: Das ist ein Mann, der alles hat und der fest darauf baut, dass ihm die Welt zu Füßen liegt und niemand ihm etwas anhaben kann.
Er fühlt sich unantastbar.
Wut.
Ich steige in mein Auto, ziehe die Tür zu und drehe den Zündschlüssel. Der Motor springt nicht sofort an. Ich versuche es noch einmal, und dann ein drittes Mal. Ich beiße mir auf die Wange vor Frustration und schmecke sofort das Blut, das sich in meinem Mund verteilt.
Als der Motor endlich zum Leben erwacht, lege ich den ersten Gang ein und kehre zur Straße zurück. Hinter mir schwingt das Tor wie von selbst zu.
Im Rückspiegel sehe ich Hugo noch immer in der Tür stehen. Einer der Windhunde erscheint neben ihm, drückt den Kopf gegen sein Bein und geht wieder hinein.
Ich mache mir keine Illusionen. Innerhalb der Mauern dieses Hauses existiert eine Parallelwelt, die kaum Einflüssen von außen unterworfen ist. Mein Besuch hat nur ein leichtes Kräuseln an der glatten Oberfläche dessen verursacht, was diese Leute als ihr Leben bezeichnen. Schon bald wird alles wieder seinen gewohnten Lauf nehmen.
Schon heute Abend, wenn die Bedienstete das Abendessen serviert, wird niemand mehr ein Wort über mich, Dianne, irgendwelche Verhaftungen oder Hugos Mordlust verlieren.
54
Das trostlose, frei stehende Backsteinhaus Danny Malfaits steht leer und ist zu verkaufen. Das Gelände hinter dem Haus ist vollständig mit schmalen Hundezwingern aus Draht zugebaut, bestimmt an die hundert. Überdachte Unterkünfte gibt es keine. In jedem Zwinger steht eine Box mit einer Klappe auf der Oberseite und einem Eingang vorne. Die Unterschlupfe bestehen aus rohem Holz und sind vom Talg aus den Fellen der Tiere verschmutzt, die jahrelang daran geschmiegt gelegen und daran gescheuert haben. Der fettige Schmutz haftet sogar an den Gittern, die an vielen Stellen regelrecht geschwärzt sind. Weiter hinten auf dem Grundstück befinden sich mit Kaninchendraht und Elektrozaun abgetrennte Gehege, wo im schlammigen Boden Hunderte Pfotenabdrücke von der Hölle zeugen, die hier geherrscht haben muss.
Es stinkt Ekel erregend. Schon seit über einem Jahr leben hier keine Hunde mehr, aber der Gestank ihrer Exkremente, gemischt mit dem von nassem Fell, steigt einem noch immer in die Nase. Ab und zu
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