Verfault 2 xinxii
Pranke hielt. Er wirkte etwas ratlos, schaute auf die mit den Händen fuchtelnde Frau und sagte nur ein Wort mit fragender Stimme: »Mutter?«
Es war ihr Sohn und er befand sich demnach nicht in London, sondern wohnte immer noch hier im Haus. Ich versuchte einen Schritt nach vorne zu machen, aber meine Beine gehorchten mir nicht und ich fiel direkt auf den Tisch, der krachend in sich zusammenbrach.
Die alte Frau fing hysterisch an zu schreien: »Beeil Dich, verdammt. Leg das Skalpell weg und trage ihn hoch.« Als der Koloss nicht sofort reagierte, wiederholte sie die Aufforderung: »Mach schon, Paul. Zeige ihm sein Zimmer, bevor er stirbt. Zeige ihm sein Zimmer!«
Ich lag vornüber auf dem Tisch und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich hier nie wieder rauskommen würde. Ich war in die Hände von Irren geraten und nicht in der Lage mich zu wehren. Ich war nicht im Stande irgendetwas zu unternehmen. Panik durchflutete meinen Körper, wie offensichtlich irgendein Gift zuvor meinen Körper durchströmte hatte. Es musste im Tee gewesen sein!
Ich bemerkte, wie ich von hinten gepackt und über die Schultern Pauls geworfen wurde, der mich dann, wie ein erlegtes Stück Vieh aus dem Zimmer trug, ohne ein einziges Wort zu sagen. Die verrückte Frau ging hinter uns her und legte ihre Hand auf meine, die fast gefühllos herunterhing. Sie sprach zu mir wie mit einem kleinen Kind: »Alles wird gut, keine Angst. Sie werden bald Ruhe finden. Keine Angst!«
Über eine Holztreppe wurde ich ins obere Stockwerk getragen und der Geruch, der mir vorher aufgefallen war, wurde intensiver. Ein schmaler Läufer lag im Flur und plötzlich blieben wir stehen. Paul nahm mich herunter und lehnte mich wie einen Besenstiel gegen einen Türrahmen. Ich schaute direkt vor das dunkle Holz dieser Türe und wäre unweigerlich umgefallen, wenn dieses Monster mich nicht gehalten hatte. Ich wollte nicht wissen, was sich hinter der Tür befand, denn ich vermutete eine Folterkammer oder Ähnliches, die diese Irren hier eingerichtet hatten. Die alte Frau ging zur Tür und öffnete sie langsam wie ein Portier: »Ihr Zimmer, Herr Wegener.«
Sie trat zur Seite und ich konnte ohne Hindernisse hinein blicken. Es war hell erleuchtet und überall im Raum standen Puppen. Keine Möbel, keine Bilder, nur etwas 30 lebensgroße Puppen, die aussahen, als befänden sie sich auf einer Cocktail-Party. Einige grinsten schräg, andere hielten Sektgläser in ihren Händen und einige starrten einfach so ins Leere. Es handelte sich um Männer und Frauen in Kleidern unterschiedlicher Epochen. Eine Reihe elegant gekleidet, andere in schlichter Sportbekleidung und eine weibliche Puppe trug sogar einen Pelzmantel, einen extravaganten Hut und hielt eine Zigarettenspitze in ihrer Hand. Ein Mann trug Jagdkleidung und sein Nachbar die Sachen eines Polizisten. Es wirkte grotesk, abstoßend und irgendetwas stimmte an dieser ganzen Szenerie nicht. Alle Gesichter wirkten seltsam entstellt, unnatürlich verzerrt und auf eine abartige Weise leidend.
Frau Stoner betrat nun den Raum, breitete die Arme aus und lächelte voller Besitzerstolz, als sie von ihrer Kollektion sprach: »Hier, Herr Wegener. Meine Sammlung. Seit Jahrhunderten in Familienbesitz und Sie haben die Ehre, ein Teil davon zu werden!«
Ein Teil davon? Wovon? Als die Verrückte zur Seite trat und ich erneut freien Blick auf die Figuren erhielt, wurde mir mit einem Schlage bewusste, was sie meinte. Wenn ich noch Gefühl in den Beinen gehabt hätte, wäre ich spätestens jetzt vollends zusammengebrochen, aber Paul hielt mich unbarmherzig fest.
Dies waren keine Puppen! Es waren Menschen! Tote Menschen. Leichen! Einbalsamiert für alle Zeiten und in diesem Raum platziert wie in einem
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