Verfault 2 xinxii
sagen, ob es tausende oder zehntausende Gebeine waren, aber es war ein verstörender Anblick. Yanis blieb stehen und blickte mit Erstaunen auf die menschlichen Überreste.
Viele der Touristen gingen einfach weiter, nachdem sie ein paar Fotos ohne Blitzlicht gemacht hatten, aber Yanis war in dieser Beziehung anders. Er sah auf die unzähligen Knochen und versuchte sich in deren Zeit hinein zu versetzen. Er gab sich Mühe, den Atem der Vergangenheit einzuatmen und zu begreifen, was er hier sah. Diese Menschen, die hier entweder fein gestapelt oder achtlos auf einen Haufen geworfen wurden, waren die Geschichte dieser Stadt. Seine Geschichte! Zu wem gehörte dieser, mit grüner Patina überzogener Ellbogen? Zu wem der kleine Kinderschädel? Was hatten diese Menschen erlebt? Wie waren sie gestorben? Der Geruch in diesen Kammern war im Übrigen keineswegs unangenehm, es roch weder nach Verwesung noch in anderer Weise abstoßend, nein, es duftete nur nach Kalk und typischen Kellergeruch. Nichts erinnerte daran, wie es hier in Zeiten der Entstehung bestialisch gestunken haben musste. In diesen Haufen oder Knochenwänden lagen die Gebeine von Danton, von Robespierre und vielen anderen berühmten Parisern. Er schaute auf den Schädel mit dem Loch an der Stirn. War dieser Mensch ermordet worden, hatte er einen Unfall erlitten oder ist das Loch erst post mortem entstanden? Niemand würde ihm je die Antwort geben können.
Yanis stand minutenlang in der ersten Kammer und begann zu grübeln: War diese Wette statthaft? Verstoß sie nicht gegen jede Regel des menschlichen Anstands? Er verneinte dies für sich, denn er wollte hier keine bizarre Party feiern wie so manch anderer. Er besaß Respekt vor diesen Toten und mit diesen Gedanken beruhigte er sein Gewissen. Schließlich ging er weiter, kam in die Kammer La Passion, in dem die Knochen wie ein Fass um eine Säule angeordnet waren. Er entdeckte tatsächlich den Schädel mit der hohen Stirn und musste innerlich grinsen. Seine Gedanken waren in diesem Moment bei Pierre, der diese Gebeine offensichtlich auch schon studiert hatte.
Direkt an La Passion angrenzend, hatte Yanis einen Gang entdeckt, der nach links führte und durch ein Absperrgitter versperrt war. Er kannte diesen Weg, da er früher noch geöffnet war und wusste, dass sich nach einigen Metern mehrere Kammern befanden. Diese waren eher versteckt und teilweise von aufgeschichteten Gebeinen verdeckt. Da es kein Problem darstellte, über diese Absperrung zu klettern, nahm er sich vor, in diesem Bereich seine Wette einzulösen.
Hinter ihm tauchte die nächste Touristengruppe auf und Yanis setzte seinen Weg fort. La Passion war die letzte besuchbare Beinkammer und Yanis verließ die Katakomben am regulären Ausgang, der sich fernab des Eingangs befand. Als er Tageslicht erblickte und die Sonne gnädig erschienen war, begab er sich zur nächsten Metro-Station, um heimzufahren.
Am nächsten Wochenende war es endlich so weit. Yanis packte zwei Flaschen Bier, eine helle Taschenlampe und 3 Croissants in seinen Rucksack und machte sich auf den Weg zu den Katakomben. Er wollte den spätesten Einlasstermin nutzen und sich, in dem von ihm ausgewählten Gang, verstecken, bis die letzten Menschen diesen unterirdischen Friedhof verlassen hatten. Seinen Freunden hatte er versprochen, einige Fotos mit seinem iPhone zu machen, um seinen Aufenthalt zu dokumentieren. Posten konnte er die Bilder voraussichtlich nicht direkt, denn er bezweifelte in den Katakomben Empfang zu haben. Je näher er dem Eingang kam, desto mulmiger wurde sein Gefühl. Es war, als wolle er umdrehen, aber eine unsichtbare Hand, die seinen
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