Verfault 2 xinxii
die dahinter aufgeschichtete Knochenwand. Einzig ein niedriger Knochenhaufen an der Rückwand war erkennbar . Von diesem Haufen ging auch der fürchterliche Gestank aus, denn diese Knochen waren teilweise noch mit verwesendem Fleisch und Resten von Haut überzogen. Yanis übergab sich erneut und sein Begleiter lachte auf: »Bist wohl neu, was? Nimm Dir ein Tuch aus dem Bottich dahinten und bind es Dir um den Mund!«
Yanis entdeckte den Bottich in der Ecke und ging dorthin. Der Bottich war mit bräunlichem Wasser gefüllt, in dem einige Leinentücher schwammen. Er nahm eines heraus und band es sich um den Kopf. Der bestialische Leichengeruch wurde etwas gemildert, aber lag immer noch dominierend in der Luft. Er verstand überhaupt nichts mehr und dachte an einen fürchterlichen Traum, der schrecklich real wirkte. Er ging gegen jede Vernunft an den Haufen heran und betrachtete die Knochen. Der Anblick war schlimmer als jeder Albtraum. Aus den Fleischresten krochen tausende von Maden hervor und überall waren Ratten zu erkennen, die sich ein Festmal an faulem Fleisch genehmigten. Ein besonders fettes Exemplar, das nur noch ein Auge besaß, nagte an den Muskelresten eines Oberschenkelknochens wie an einem Hähnchenflügel. Die Widerlichkeit dieses surrealen Eindruckes war mit Worten nicht zu beschreiben und betäubten Yanis Gedanken viel mehr als der Gestank, der wieder ungehemmt in seine Nase drang.
Langsam begriff er, dass hier etwas gegen die Wissenschaft geschah. So benebelt seine Sinne auch waren; zwei Erklärungen kamen ihm in den Sinn. Erstens: Er träumte den perversesten aller Träume, würde bald aufwachen und alles wäre wieder gut! Zweitens: Er war wirklich hier! Zum Zeitpunkt der Einlagerung der Gebeine in die Kammer La Passion. Es war völlig verrückt, aber alles, wirklich alles, schien real.
An einen Trick oder Streich seiner Freunde dachte er schon lange nicht mehr, denn es war unmöglich, alle Knochen des »Fasses« und der Mauer zu beseitigen und gleichzeitig verweste Knochen herbeizuschaffen. Noch dazu menschliche, verwesende Knochen! Dies war undurchführbar! Aber war es nicht noch unmöglicher, zurück in die Zeit zu reisen? Ja, ohne Zweifel, aber dennoch war er hier. Er stand vor einem Berg menschlicher Überreste und hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst.
Der Ruf seines Begleiters riss aus ihn aus allen Gedankensträngen: »Auf, auf, Du Lump! Genug gekotzt und gefaulenzt. In wenigen Minuten wird die nächste Fracht hier sein und dann heißt es zupacken! Ist Dein erster Tag, oder? Habe Dich jedenfalls noch nie hier gesehen!«
Yanis versuchte mitzuspielen: »Ja. Mein erster Tag. Muss mich erst noch dran gewöhnen!«
Der Vorarbeiter lachte und spuckte auf den Boden, dass es klatschte: »Aber nicht zu lange dran gewöhnen, Bürschchen. Es gibt genug andere, die froh über diese Arbeit wären!«
Dies konnte sich Yanis zwar ganz und gar nicht vorstellen, aber es mag damals so gewesen sein. Er schaute zum ersten Mal an sich hinab und sah, dass er nicht mehr seine alte Jeans am Körper trug, sondern eine verdreckte Leinenhose, ein schwarzes Hemd und braune, dünne Lederschuhe, die nur noch durch ihre Flicken zusammengehalten wurden. Er sah aus, als gehörte er hierher!
»Welches Jahr haben wir?«, fragte er unvermittelt.
»Welches Jahr wir haben? Mensch Junge, die Luft hier scheint Dir bei Gott nicht zu bekommen. 1802 haben wir oder hattest Du eine andere Antwort erwartet?«
»Nein, nein. 1802«, murmelte Yanis vor sich hin.
»So. Genug geredet. Die Fuhre sollte jeden Augenblick eintreffen. Komm!«
Yanis wurde am rechten Handgelenk gepackt und der kräftige Mann zog ihn unsanft hinter sich her. Sie gingen ein Stück den Gang entlang, bis sie vor einem Loch in der Decke
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