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Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
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einmal fähig, den schönsten Satz deines Helden Raskolnikow auszusprechen, auf dessen Kühnheit du dich unaufhörlich berufst. Wie erbärmlich!
    Er legt die Hände aneinander, presst sie zusammen, als wollte er beten. Er zieht den Kopf zwischen die Schultern. Er krümmt sich. Er windet sich. Er wird sich bewusst, dass Würde keine lächerliche männliche Ehre ist und auch keine absurde Stammesmoral, sondern ganz einfach im Willen eines Menschen liegt, der seine Schwäche akzeptiert, ihr Respekt verschafft, dass …
    »Woher stammt dieses Geld?«, fragt Suphia und hält ihm das Bündel Scheine hin, das er Dawud gegeben hat.
    Jetzt, Rassul, jetzt musst du schreiben. Du kannst nicht länger schweigen, Suphia im Ungewissen lassen. Sonst wird sie denken, es ist Geld, das du nana Alia gestohlen hast. Nazigol und ihr muss aufgefallen sein, dass du dich merkwürdig benommen hast neulich, du hast dich verdächtig gemacht.
    Ja, ich werde ihr alles aufschreiben. Dieses Geld stammt vom Verkauf meiner Schwester Donia durch meine Mutter an einen Kommandeur. Es ist der Preis meiner Feigheit!
    Nervös richtet er sich auf, um nach Papier und Stift zu suchen. Suphias neugieriger Blick folgt ihm: »Du brauchst das Geld für deine Mutter und deine Schwester …« Rassul findet Suphias Heft. »Ich liebe dich, Rassul. Aber ich kann nicht mit dir leben. Oder eher du, du kannst nicht mit mir leben«, sagt sie und steht auf, um ihren Tschaderi zu nehmen und zu gehen. Doch bevor sie über die Schwelle tritt, hält Rassul sie zurück und streckt ihr das Heft entgegen. »Was ist das? Ist das …«, sie zögert, »ist das mein Heft?« Ja. »Mein Heft!«, ruft sie mit einem flüchtigen, schüchternen Lächeln, voll der Erinnerungen. Rassul fordert sie auf, es zu öffnen. Sie öffnet es. Er beeilt sich, ihr die letzte Seite zu zeigen, die sie liest, noch einmal liest, murmelnd; dann wiederholt sie mit lauter Stimme: »Heute habe ich nana Alia getötet« , hebt den Blick, nicht sicher, ob sie verstanden hat. Sie nähert sich Rassul. »Was soll das heißen?« Er zeigt mit dem Finger auf den nächsten Satz, »Ich habe sie für dich getötet, Suphia« , den sie liest; dann die Fortsetzung: »Suphia, ich habe dich nie geküsst. Weißt du, warum? …« Sie schlägt das Heft zu, senkt die Augen, als wollte sie anderswo als auf Rassuls Lippen nach dem Sinn dieser Worte suchen. »Ist das ein Gedicht?«, fragt sie unschuldig. Nein, ich habe getötet. Er hat Mühe, die Geste auszuführen. Vergeblich. Er schaut ihr fest in die Augen, voller Wut, einer stummen Wut angesichts seiner Unfähigkeit, alles zu sagen. »Schau mich nicht so an! Du machst mir Angst. Sag mir, was das ist.« Los, Rassul, schreib, dass du deine Stimme verloren hast. »Warum sagst du nichts? Hast du wirklich beschlossen, nicht mehr zu sprechen?«
    Er nickt hilflos mit dem Kopf und kehrt aufs Bett zurück. Seine Hand zögert, das Heft zu nehmen und zu schreiben. Irgendetwas hindert sie daran. Etwas Zynisches. Er weiß noch nicht, woher dieses Ressentiment kommt. Wahrscheinlich die Tatsache, dass sein Schweigen allen auf die Nerven geht, vor allem seinen Nächsten. Dabei würde er Suphia gerne in allen Einzelheiten erzählen, wie er auf die Idee gekommen ist, nana Alia zu ermorden. Es war an dem Tag, als sie sich gestritten haben, vor einer Woche. Danach ist er ins Teehaus gegangen. Er hat gehört, wie zwei Milizionäre über nana Alia gesprochen haben, über diese verfluchte Hure, die nicht nur Wucherin ist. Sie lässt auch junge Mädchen für sich arbeiten, angeblich zum Putzen, aber in Wirklichkeit führt sie sie ihren Kunden zu. Da hat Rassul verstanden, warum sie will, dass Suphia bis spätabends arbeitet. Er hat es nicht ertragen. Ja, an diesem Tag ist ihm die Idee gekommen. Und am nächsten Tag …
    »Nein, du kannst nicht …«, murmelt sie, »du kannst nicht töten«, wiederholt sie, als hätte sie Rassuls ganzen Bericht bereits gehört. Sie glaubt es nicht, sie wird es nie glauben. Er kann sagen oder vielmehr schreiben, was er will, für sie ist es erdichtet.
    Genau, das alles ist eine lächerliche Nachahmung von Verbrechen und Strafe , dessen Geschichte du ihr hundertmal erzählt hast, nichts weiter.
    Er wirft Suphia einen verzweifelten Blick zu, möchte sie fragen, warum sie ihm nicht glaubt.
    Aber wie sollte man ihm auch glauben?
    Es gibt keinen Beweis. Niemand spricht davon. Niemand hat nana Alias Leiche gesehen, sonst hätte Suphia davon gehört.
    Eben, sie muss mir

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