Verfluchte Seelen
mit Ignoranz. Ich lebe seit Tausenden von Jahren auf der Erde. Ich bin mächtiger als alle Unsterblichen in diesem Raum
zusammen
. Die Weisheit und Geduld, die ich in meinem langen Leben erworben habe, wirst du niemals dein Eigen nennen dürfen. Seth ist der einzige Unsterbliche, der mächtiger ist als ich. Das nächste Mal, wenn du etwas tust, das ich untersagt habe, wirst du die Folgen zu spüren bekommen.
Falls
Seth dich am Leben lässt. Indem du Amis Leben aufs Spiel gesetzt hast, hast du deins heute Nacht möglicherweise verwirkt. Fürchte Seth’ Zorn.«
Mit diesen Worten verließ David das Zimmer. Eine Sekunde später drang das Geräusch von Flügelschlägen aus dem Fahrstuhlschacht zu ihnen herüber.
Bastien wechselte einen Blick mit den anderen, die ihn mit ernster Miene musterten.
»Verdammt«, sagte Ethan. »Du weißt wirklich, wie man die Leute gegen sich aufbringt.«
Ja.
Die Frage war nur: Wie aufgebracht war Seth?
13
Niedergeschlagen betrachtete Seth die zierliche Gestalt auf dem Bett. Das seidige schwarze Haar lag wie ein Fächer auf dem Kissen ausgebreitet. Sie hatte eine kleine Nase und ein vorwitziges Kinn. Er zweifelte nicht daran, dass sie es zu Lebzeiten häufig trotzig nach vorn gestreckt hatte.
Die dunklen, blicklosen Augen waren auf ihn gerichtet, und es kam ihm vor, als würde sie ihn sogar im Tod um Hilfe bitten. Ihn anflehen, sie zu befreien. Sie zu retten.
Aber er war zu spät gekommen.
Das Grauen, das seit Tagen wie Säure in seinem Magen gebrannt hatte, ließ nach und wurde durch ein Gefühl der Benommenheit ersetzt. Und Bedauern.
Geschmeidig beugte er sich vor und hob ein Shirt vom Boden auf – mehr war von dem Vampir, der es getragen hatte, nicht übrig geblieben. Er säuberte seine Klingen damit. Danach steckte er die Schwerter zurück in ihre Scheiden und zwang sich, an das Bett zu treten. Mit einer einzigen Handbewegung brachte er die Seile um ihre Handgelenke und ihre Knöchel dazu, sich von selbst lösen. Sie fielen hinunter auf die Bettdecke. Eins der Seile glitt vom Bett und landete auf dem Boden.
Ihre schlanken Arme waren voller blauer Flecken und mit Bissspuren und getrockneten Blutklümpchen übersät. Ihre Beine, die nur von einem kurzen Rock bedeckt wurden, sahen genauso aus. Ihre zarten Hände waren voller Blutflecken und verkrallten sich immer noch in die Bettdecke, auch wenn sie längst ihren letzten Atemzug getan hatte.
Seth verließ das Zimmer, um das kleine Landhaus rasch zu durchsuchen. Im Badezimmer fand er, was er suchte, und kehrte zu ihrem Schlafzimmer zurück.
Er hob sie vorsichtig hoch und hielt sie mit einem Arm fest, während er mit dem anderen die blutigen Bettlaken vom Bett entfernte. Dann schüttelte er ein frisches weißes Laken auf und legte die junge Frau wieder auf das Bett. Er schloss ihr die leeren Augen, die ihn immer noch vorwurfsvoll anzustarren schienen.
Jede freie Sekunde hatte er genutzt, um nach ihr zu suchen, und mit jedem Tag war er ihrem Aufenthaltsort ein bisschen näher gekommen. Die Erde war ein verdammt großer Planet. Und momentan passierte so viel in North Carolina, das er im Auge behalten musste.
Entschuldigungen. Für das Unentschuldbare.
Er drehte sich zu der Wiege um, die nur wenige Meter entfernt stand. Als er näher trat, spürte er erneut Grauen in sich aufsteigen.
Der Körper darin war so winzig. Er nahm das Baby heraus und legte es in die Arme seiner Mutter, dann steckte er die Decke um sie herum fest wie einen Kokon.
Wieder zwei
Begabte
verloren.
Es gab drei Ereignisse, die Seth unweigerlich tief in seinem Inneren spürte, gleichgültig, wie weit das Geschehene selbst entfernt war: Die Geburt eines
Begabten
, der Tod eines
Begabten
oder Unsterblichen und die Verwandlung eines
Begabten
in einen Unsterblichen. Beim ersten verspürte er eine Art Prickeln in der Brust, so wie bei der Geburt des Babys vor drei Monaten. Das war einer der wenigen glücklichen Momente in einer Zeit gewesen, in der ihn hauptsächlich Dunkelheit umgeben hatte.
Das zweite Ereignis löste aus, dass er eine Art innere Leere verspürte. Seth war zunächst davon ausgegangen, dass die Leere, die der Tod des Babys in ihm ausgelöst hatte, nur Teil der Einsamkeit war, die er verspürte, seit er Ami zu Marcus’ Sekundantin ernannt hatte. Wenn ihm klar gewesen wäre, dass das Gefühl in Wirklichkeit daher rührte, dass ein
Begabter
starb, dann hätte er die beiden vielleicht eher gefunden. Möglicherweise sogar früh genug, um die Mutter
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