Verfluchte Seelen
geheim zu halten, grenzte an Fanatismus. Wenn er nicht so paranoid und asozial gewesen wäre, hätte sich Richart direkt zu seinem Haus beamen können, und Dr. Lipton wäre bereits geheilt.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass er das nach dieser Sache auch tun wird«, sagte Darnell.
Ami stimmte ihm zu. »Richart trifft Roland auf halber Strecke zu seinem Haus, damit er ihn den restlichen Weg bis zum Netzwerk teleportieren kann – aber selbst dann könnte es zu spät sein.«
Besorgt saßen die beiden vor Darnells Handy.
»Eine der diensthabenden Schwestern hält uns auf dem Laufenden«, erklärte Ami.
Étienne machte es sich auf einem der Stühle bequem, die vor Davids solidem Schreibtisch standen. Auf der glänzenden Oberfläche lag eine Ausgabe des neuesten Stephen-King-Romans, und eine Seite in der Mitte des Buchs war mit einem Lesezeichen markiert, das ein Porträt des Autors zeigte. David war ein großer Fan von ihm.
Darnell fluchte. »Sie wird es nicht schaffen.«
In diesem Moment tauchte Richart auf, der vordere Teil seines Mantels und seines Oberteils waren blutgetränkt.
Wie viel davon, fragte sich Étienne, während er sich erhob, war Vampirblut, und wie viel stammte von Dr. Lipton?
Sein Blick fand den seines Bruders.
»Fertig?«
»Oui.«
Richart berührte seine Schulter.
Étienne wusste, dass sich die meisten Unsterblichen und ihre Sekundanten beim Teleportieren unbehaglich und desorientiert fühlten. Er hingegen kannte das schon seit seiner Kindheit, da Richart ein kleiner Junge gewesen war, als er seine Begabung entdeckt hatte. Daher störte es ihn überhaupt nicht. Er war daran gewöhnt.
Sie materialisierten sich in den Schatten von Chapel Hills Peabody Hall auf dem Unigelände.
Genauso wie die anderen Unsterblichen aus der Gegend kannte sich Étienne sehr gut auf dem Campusgelände der UNC aus.
Der Gestank nach Blut, Tod und Angst, den der Wind in dieser Nacht zu ihm herübertrug, war allerdings außergewöhnlich stark und ließ ihn schaudern.
Heilige Scheiße!
Was hatte sich hier zugetragen?
Ein kurzer Blick in die Gedanken seines Bruders verriet ihm, dass Richart Bastien nur dabei geholfen hatte, eine Gruppe Vampire zu töten.
Aber acht getötete Vampire riefen niemals einen solch bestialischen Gestank hervor.
Hinter ihm regte sich etwas.
Étienne und Richart wirbelten herum, bereit zum Angriff.
Bastien trat aus den Schatten. Seine Augen glühten, und das offene Haar klebte ihm zerzaust und blutverschmiert am Kopf. Fast jeder Millimeter seines Körpers war blutbefleckt, und sein Gesicht bildete keine Ausnahme. Sein Gesichtsausdruck war mindestens so blutrünstig wie der des durchgeknalltesten Vampirs, gegen den Étienne jemals gekämpft hatte. Und seine Gedanken …
Étienne zog seine Schwerter und bedeutete Richart, zurückzutreten.
Richart packte ihn am Arm. »Was tust du da?«
»Seth und David haben einen Fehler gemacht. Ich weiß nicht, wie das passiert ist, oder warum … aber irgendwie muss es ihnen entgangen sein.«
»Was denn?«
»Bastien ist kein Unsterblicher. Er ist ein Vampir.«
»Nein, Bruder. Er ist ganz sicher ein Unsterblicher.«
Étienne schüttelte den Kopf. »Du kannst seine Gedanken nicht lesen. Dort ist nichts außer Hass, Blutgier und Gewalt.«
Bastien knurrte warnend. Étienne war sich nicht einmal sicher, ob Bastien überhaupt wusste, wen er vor sich hatte.
»Halt dich zurück, Étienne«, ermahnte ihn Richart. »Er ist nicht durchgeknallt. Jedenfalls nicht so, wie du denkst.«
»Schwachsinn.«
»Sieh tiefer in seine Gedanken hinein. Dr. Lipton bedeutet ihm etwas, und zwar mehr, als er sich selbst eingesteht. Er hat Angst, dass er sie verloren hat. Dass die Soldaten sie getötet haben.«
Was?
Étienne tat, was sein Bruder ihm geraten hatte, und tauchte tiefer in Bastiens Gedanken ein. Normalerweise wäre es ihm schwergefallen. Bastien war einer der wenigen Unsterblichen, die in der Lage waren, ihre Gedanken vor Telepathen zu schützen. Aber die Schutzwälle, die der trotzige Unsterbliche normalerweise aufbaute, waren allesamt niedergerissen von dem weiß glühenden, brennenden Zorn, der in ihm loderte. Und darunter fand er das, was Richart auch ohne telepathische Fähigkeiten gesehen hatte: Bastiens alles verzehrende Liebe für Dr. Lipton.
Die anderen Unsterblichen glaubten, dass Bastien beinah täglich das Netzwerk besuchte, um die Vampire zu beruhigen, aber Melanies Anwesenheit im Hauptquartier übte eine genauso große Anziehungskraft auf
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