Verfolgt im Mondlicht
herausfinden, ehe es zu spät war.
Nur Sekunden später hatte Burnett die Vampire aufgeteilt, um das Shadow-Falls-Gelände abzusuchen. Wenn Holiday noch hier war, würden sie sie auf jeden Fall finden. Burnett flog zurück zum Büro, um dort nach Hinweisen zu suchen und zu überprüfen, ob das Alarmsystem richtig funktionierte.
Kylie hatte die Aufgabe, die westliche Seite des Geländes abzusuchen. Aber als sie an dem Pfad vorbeikam, der zu Hayden Yates’ Hütte führte, machte sie kurzerhand eine Kehrtwende.
Sie blieb auf seiner Veranda stehen, als sie ihn drinnen hin und her gehen hörte. Er sprach mit jemandem.
Ohne zu klopfen stürmte sie in seine Hütte und vergaß sogar, vorher die Tür zu öffnen. Mit einem lauten Krachen landete die eingerannte Tür auf dem Holzboden. Hayden stand neben dem Sofa, sein Kapuzenpulli in der einen und sein Handy in der anderen Hand. Seine dunklen Haare wirkten dunkler, feucht vor Schweiß. Sein Gesicht war rot, als wäre er gerade gerannt. Aber wieso?
Oder die wichtigere Frage: Wo kam er her?
»Wo ist sie?« Kylies Stimme war tiefer als sonst, und eine deutliche Drohung schwang in ihrer Frage mit.
Hayden klappte sein Handy zu. »Wo ist wer?«, fragte er unschuldig.
»Spiel keine Spielchen mit mir.« Das Blut rauschte ihr in den Venen. Und ihre Geduld – falls sie je welche gehabt hatte – war am Ende.
Er schmiss den Pulli und sein Handy aufs Sofa. Daneben lag noch ein Gegenstand: eine Armbanduhr. Eine schwarze Lederarmbanduhr.
»Du bist doch gerade ein Vampir. Hör einfach auf meinen Herzschlag.«
Das hatte Kylie schon gemacht, aber es tat nichts zur Sache. Es tat nichts zur Sache, dass er eine andere Uhr hatte als die, die sie in der Vision gesehen hatte. Vielleicht hatte er zwei Armbanduhren. »Das klappt doch nur bei Leuten, die ein Gewissen haben.«
»Und du gehst davon aus, dass ich keins habe.«
»Sie verbergen schon die ganze Zeit etwas, seit Sie hier sind.« Sie ging einen Schritt auf ihn zu. Sie wollte nur Antworten, und es war ihr egal, wie sie sie bekam.
Er hatte anscheinend ihre Stimmung erkannt, denn er streckte ihr die Handflächen entgegen. »Vielleicht, aber es ist nicht das, was du denkst. Ich hab deiner geliebten Campleiterin kein Haar gekrümmt.«
»Ich hab Ihnen gar nicht gesagt, um wen es geht! Also, wie zur Hölle …«
»Ich bin kein Idiot. Burnett hält fast jede Nacht bei ihrer Hütte Wache.«
»Wenn Sie ihr etwas antun, bringe ich Sie um.« Sie sprach die Drohung aus, ohne mit der Wimper zu zucken. Denn es war die Wahrheit. Für Holiday würde Kylie sogar töten.
Aber was, wenn sie Holiday enttäuscht hatte und es zu spät war? Wut, Angst und Liebe drohten Kylie zu übermannen. Ihre Hände zitterten.
»Ich bezweifle nicht, dass du mich umbringen könntest«, entgegnete Hayden, weiterhin mit erhobenen Händen. »Deine Kraft scheint geradezu … extrem zu sein.« Er atmete tief ein, und sie hätte schwören können, dass er beinahe aufrichtig oder sogar respektvoll aussah. »Es ist nicht meine Aufgabe« – er hielt inne –, »etwas zu sagen.« Er strich sich die Haare zurück. »Es wäre für mich wahrscheinlich besser, meinen Mund zu halten. Aber dummerweise ist es nicht so, wie du denkst; ich habe sehr wohl ein Gewissen.«
Er schloss die Augen, und als er sie wieder öffnete, lag nichts als Ehrlichkeit in seinem Blick. Und Kylie sah noch etwas anderes, aber sie konnte nicht sagen, was es war. Etwas an ihm wirkte … vertraut. Auf seltsame Art und Weise. »Heute Morgen hab ich Collin Warren gesehen und ich habe das ungute Gefühl, dass er etwas im Schilde führt.«
Kylie lauschte angestrengt und Haydens Herz sagte ihr, dass er sie nicht anlog. »Wer sind Sie?«, fragte sie.
Er strich sich die Haare aus der Stirn. »Schau doch selbst.«
Und das tat Kylie. Sein Muster glich dem ihres Vaters. Hayden war … ein Chamäleon.
Kylie stockte der Atem. Hayden könnte ihr so viele Informationen geben, die sie so dringend brauchte. Doch nicht jetzt. Im Moment war nichts wichtiger, als Holidays Leben zu retten. Ihr Blick fiel auf das Sofa, und da war eine Sache, die sie sofort von ihm brauchte.
Sie schnappte sich sein Handy und war aus der Tür, noch bevor er Einspruch erheben konnte.
Kylie sauste die Treppe der Veranda hinab. Der Sonnenaufgang tauchte den Horizont in helle Farben, doch sie hatte jetzt keine Zeit, sich daran zu erfreuen. Weil sie Burnetts Nummer immer noch nicht wusste, rief sie Della an.
Della ging nicht ran.
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