Verfolgt im Mondlicht
er sah ihre Großtante an. »Wir müssen gehen. Es kommt jemand.« Er wandte sich an Kylie. »Sprich mit niemandem darüber, dass du ein Chamäleon bist. Lass sie denken, was sie wollen. Je weniger wir darüber reden, was wir sind, desto weniger werden wir verfolgt.«
»Moment«, sagte Kylie schnell. »Wie kann ich euch erreichen? Ich hab immer noch so viele Fragen.«
»Ich melde mich bei dir«, erwiderte ihre Großtante und nahm Malcolms Hand.
»Wie denn?«, fragte Kylie. »Wie willst du …?«
Ihre Großtante antwortete nicht mehr. Es war so, wie Perry es damals beobachtet hatte, als er ihnen gefolgt war. Es machte einfach Puff, und sie waren verschwunden .
Kylie stand da – verblüfft und verärgert. Wie wollte sich ihre Großtante denn jetzt bei ihr melden? Wie machten die das mit dem Verpuffen? Konnte sie das etwa auch? Sie hörte Schritte hinter sich, eilige Schritte. Sie drehte sich um, in Erwartung, Burnett auf sich zulaufen zu sehen. Aber es war sogar noch schlimmer.
Lucas lief auf sie zu. Als er vor ihr stehen blieb, blickte er sie wütend an.
Seine Augen leuchteten orange. Kylie konnte verstehen, dass er wütend war, weil sie das Netz über ihn und Perry geworfen hatte. Misstrauisch schaute sie über seine Schulter in die Dunkelheit, weil sie doch noch irgendwo Burnett vermutete. Denn dann konnte sie sich auf was gefasst machen.
Da fiel ihr ein, dass sie jetzt auch Vampir war. Sie drehte sich von Lucas weg, aus Angst, dass er es sehen und sie abstoßend finden könnte.
»Das war total dumm von dir«, brachte Lucas gepresst hervor.
Sie wusste, was er meinte. »War es nicht.« Sie hielt ihren Blick abgewandt. »Das war mein Großvater.«
»Und?«, fragte Lucas.
»Und ich hab wenigstens ein paar Antworten bekommen.« Sie ging los, er folgte ihr.
»Vertraust du mir so wenig, dass du mir nicht sagen konntest, wo du hin wolltest?«
Sie zuckte mit den Achseln und wich seinem Blick aus. »Ich vertraue dir, aber du hättest versucht, mich aufzuhalten.«
»Du hättest doch mit mir darüber reden können, statt so ein blödes Netz auf uns runterzulassen.« Seine Worte waren von einem leisen Knurren begleitet.
»Ich hatte keine Zeit, mit dir darüber zu reden.«
»Deshalb hättest du es mir früher erzählen sollen. Die Tatsache, dass du mir nicht vertraust, macht mich so wütend.«
Als ob er ihr vertrauen würde. »Ich weiß genau, wie du dich fühlst«, erwiderte sie vielsagend.
»Das ist doch etwas ganz anderes.« Er wusste anscheinend sofort, was sie gemeint hatte.
»Nein, ist es nicht.« Kylie spürte einen Kloß im Hals. Sie weigerte sich immer noch, ihn anzusehen, weil sie Angst hatte, er könnte ihr Muster checken. Und sie konnte sich wirklich nicht vorstellen, wie sie das jetzt ertragen sollte.
»Du hast mir gesagt, dass du es verstehst. Du hast gemeint, dass du gestern überreagiert hast, als du sauer auf mich warst, oder auch nicht, oder ein bisschen sauer. O Mann, du machst mich noch wahnsinnig!«
»Ja, das hab ich gesagt«, räumte Kylie ein. »Und ich verstehe es ja auch, oder ich versuche es zumindest. Aber wenn du mir nicht dasselbe Verständnis entgegenbringen kannst, muss ich mir das wohl noch mal überlegen.«
»Also sind wir jetzt an dem Punkt, dass du eine Frau bist und deshalb das Recht hast, deine Meinung zu ändern«, sagte er frustriert.
»Ja, genau.« Tränen traten ihr in die Augen, und sie ging schneller.
Sie passierten ein paar verwitterte Statuen, denen die Arme fehlten. Aus dem Augenwinkel bemerkte Kylie, wie Lucas die Gräber anschaute. Wie viel Überwindung es ihn wohl gekostet hatte, auf den Friedhof zu gehen? Wie etwa neunzig Prozent aller Übernatürlichen hasste er Friedhöfe. Hatte ihr Großvater deshalb diesen Ort als Treffpunkt vorgeschlagen? Weil er wusste, dass kein Übernatürlicher freiwillig dorthin gehen würde?
Aber Lucas hatte es getan. Ihm lag so viel an ihr, dass er seine Angst vor Geistern überwunden hatte. Ob er das wohl auch gemacht hätte, wenn er wüsste, dass sie ein Vampir war? Würde er noch etwas für sie empfinden können, wenn sie sich jetzt zu ihm umdrehen und ihn ihr Muster lesen lassen würde?
Die Frage, oder besser die Angst vor der Antwort, ließ sie ihre Schritte weiter beschleunigen. Sie wollte allein sein. Um noch mal über alles in Ruhe nachzudenken, was ihr Großvater ihr gesagt hatte.
Um sich daran zu gewöhnen, dass sie die Wahrheit endlich kannte.
Um rauszufinden, was das alles zu bedeuten hatte.
Sie war ein
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