Verfuehre niemals einen Highlander
festgetrocknete Hemd abgerissen hatte, rann Blut seinen Arm hinab. Hastig griff sie nach der Whiskyflasche. „Wenn ich mich recht erinnere, reinigt das hier besser als bloßes Wasser.“
„Eine grässliche Verschwendung, meine Gute.“
„Ich lass dir einen Tropfen übrig. Gib mir dein Messer.“
Misstrauisch beäugte er sie. „Wozu?“
„Ich brauche Stoff für ein Polster zum Blutstillen. Es sei denn, du hast ein sauberes Taschentuch dabei. Dein Krawattentuch brauchen wir zum Verbinden.“ Sie musterte sein Hemd. Das würde er wieder anziehen müssen, auch wenn es blutbefleckt war. Entschlossen hob sie den Saum ihres Rockes und beäugte die Unterröcke. Sie würde ein Stück von dem obersten abtrennen.
Er zog den Dolch aus seinem Strumpf und reichte ihn ihr, das Heft voran, doch sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich halte es stramm, und du schneidest. Du kannst das bestimmt besser als ich.“
Er hob eine Braue und schenkte ihr einen rätselhaften Blick, machte sich jedoch an die Aufgabe. Es war ein merkwürdiges Gefühl, seinen Kopf so dicht an ihren Beinen zu wissen. Auch wenn er unmöglich mehr als ihre Schuhe sehen konnte, denn immerhin waren ihre Beine noch von zwei weiteren Unterröcken verhüllt.
Bald hatte er einen langen Streifen vom Saum getrennt. „Schneid das in der Mitte durch, die eine Hälfte nehme ich, um die Wunde auszuwaschen.“
Stirnrunzelnd sah er sie an. „Wo hast du diese Kunst gelernt?“
„Kunst würde ich es nicht nennen. Meine Freundin, Lady Hawkhurst, überredete mich, in dem Hospital für versehrte Seeleute, das sie gegründet hat, freiwillige Arbeit zu leisten. Ich lese ihnen vor und rolle Leinen für Verbände.“ Sie tränkte den Stoff mit Whisky.
„Also hast du keine Erfahrung mit der Versorgung von Wunden?“
„Keine persönliche“, sagte sie munter, „aber ich habe oft genug zugeschaut.“ Bestimmt würde sie nicht erwähnen, dass sie sich in den nächsten Nachttopf übergeben musste, als sie einmal im falschen Moment hingeschaut hatte. Daher biss sie die Zähne zusammen und tupfte mit dem whiskygetränkten Tuch die Wunde ab.
Er keuchte auf, und sie erwartete schon einen kräftigen Fluch. Doch er blieb stumm.
Beeindruckt fuhr sie mit ihrer Aufgabe fort. Wenn er den Schmerz aushielt, konnte sie auch den Anblick aushalten. Obwohl das Schwindelgefühl noch zunahm.
Die Verletzung sah grässlich aus – die Ränder fransig und nass von frischem Blut.
Selina wurde schwarz vor Augen, sie schwankte, doch sie presste ihre Lider zu, riss sich zusammen und bekämpfte ihre Übelkeit.
Diese Wunde war bei Weitem nicht so schlimm wie die an ihrem eigenen Bein. Ein kurzer Blick hatte genügt und sie war bewusstlos geworden.
Mit zusammengebissenen Zähnen überlegte sie, was Alice ihr über entzündete Wunden erzählt hatte. Rote Ränder, Eiterungen. Davon war hier nichts zu sehen. Noch nicht.
Endlich durfte sie den Blick abwenden. Tief atmete sie durch. „Mehr als es zu verbinden kann ich jetzt nicht tun.“
„Schön zu hören“, meinte er trocken.
Verstohlen sah sie ihn an. Er hatte die Lippen fest zusammengepresst. Sie war so damit befasst, nicht umzufallen, dass sie keinen Gedanken dafür übrig gehabt hatte, wie sehr sie ihm wehtat. Und er hatte keinen Mucks von sich gegeben.
Weil er stark war und sie schwach.
„Halt still“, sagte sie schroff, drückte das Polster auf die Wunde und verband das Ganze dann mit seinem Krawattentuch.
Er streckte prüfend den Arm und machte eine Faust. Fasziniert beobachtete sie, wie der Muskel den Verband ausbeulte. Darüber hätte sie beinahe vergessen, wie übel ihr war – bis ihr Blick auf das blutige Hemd fiel.
Der Raum verschwamm vor ihren Augen, ihre Knie gaben nach, und alles ringsum wurde dunkel. Sie klappte zusammen.
„Selina?“ Seine Stimme schien von weit weg zu kommen. Ein starker Arm schlang sich um ihre Taille, zog sie an etwas Warmes, Festes. Sie sackte dagegen, schwankend, von Übelkeit geschüttelt.
„Selina!“
Ian. Ian hielt sie fest. Rasch schloss sie die Augen und wartete, dass das grässliche Gefühl endlich nachließ. Nach und nach wurde ihr bewusst, wo sie war. Sie saß auf seinem Schoß, von seinen Armen warm umfangen, und er streichelte ihren Rücken. Sie schlug die Augen auf.
„Geht es dir besser?“, murmelte er nah an ihrem Ohr. Wie süß sein weich gerolltes ‚R‘ klang! So beruhigend. Anscheinend fühlte sie sich stets gleich besser, wenn sie seine Arme um sich spürte. Zu schade,
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