Verfuehrerische Naehe
ihnen wuchs dermaßen, dass Chantal geschworen hätte, ein Summen in der Luft zu hören.
Es summte tatsächlich. Ihr Handy!
Als sie automatisch danach griff, hielt Quade ihre Hand eisern fest. „Lass es.”
„In Ordnung.”
Er seufzte. „Ich habe nicht gekündigt, sondern wurde entlassen.”
Vorsichtig drehte sie sich zu ihm. Sein Blick fiel auf ihre Hand, die er noch immer festhielt. Er lockerte den Griff und strich über ihre Haut, als wollte er die Abdrücke seiner Finger wegwischen.
Chantal hätte gern seine finstere Miene weggeküsst, und sie wäre bereit gewesen, für ihn zu kämpfen, ob es nun richtig oder falsch war. „Warum hat man dich entlassen?” fragte sie empört. „Hatten die Leute den Verstand verloren?”
„Sie hatten ihre Gründe.”
In Gedanken flehte sie ihn an, mit ihr zu reden. Plötzlich war es ungeheuer wichtig, wie er sich entschied. Es wäre ein Zeichen gewesen, wie weit er sie an sich heranließ. Als sie schon dachte, die Spannung nicht länger zu ertragen, summte erneut das Handy.
„Melde dich”, sagte Quade knapp, als sie es abstellen wollte. „Es könnte wichtig sein.”
„Nicht so wichtig wie die Gründe, weshalb …” Sie verstummte, als sie auf dem Display ablas, woher der Anruf kam. Es war Zanes Handy, das er selten benutzte und das er sich nur angeschafft hatte, falls Julia ihn dringend sprechen musste. Angst packte sie. Es waren zwar noch drei Wochen bis zum Stichtag, aber…
„Geht es um Julia?” rief sie ins Telefon. „Was ist passiert?”
Drei Worte - Schmerzen, Blutungen, Krankenhaus - stürzten sie in bodenlose Angst.
12. KAPITEL
Nach einem Blick in Chantals verstörtes Gesicht stellte Quade zwei Fragen: „Wohin? Wie eilig ist es?”
Im Cliffton Base Hospital erfuhren sie, dass Julia auf einen Kaiserschnitt vorbereitet wurde. Chantal wurde blass trotz aller Versicherungen, es wäre nur eine Vorsichtsmaßnahme wegen der Blutungen. Außerdem wäre die siebenunddreißigste Woche nicht zu früh. Und eine Untersuchung hatte ergeben, dass mit dem Kind alles in Ordnung war.
Sie hielt den Kaffeebecher, den Quade ihr gebracht hatte, in den zitternden Händen.
„Kree muss gleich hier sein, meine Eltern auch. Sie sollten mit der Maschine um zwanzig vor sechs landen.”
„Ich bleibe bei dir”, versicherte er.
Sie widersprach nicht, doch er wäre ohnedies geblieben. Über die Gründe dachte er nicht nach, auch nicht über die Folgen. Es kam einfach nicht infrage, Chantal jetzt allein zu lassen, wenn ihre Hände so zitterten, dass sie Kaffee verschüttete, als sie den Becher auf den Tisch stellte. Tränen standen ihr in den Augen, während sie in ihrer Handtasche wühlte.
Als sie schließlich vergeblich versuchte, die Tränen wegzuwischen, hielt Quade ihre Hand fest. „Lass es”, sagte er schroffer als beabsichtigt.
Sie hielt still und spannte sich innerlich an. Eine Weile saßen sie nur schweigend da.
Quade versuchte, ihr mit einer bloßen Berührung Kraft und Trost zu bieten, bis er allmählich merkte, wie ihre Anspannung nachließ und sie seinen Trost annahm.
Ihr sanfter Händedruck löste in ihm eine Woge von Gefühlen aus, die ihn so unerwartet traf, dass es ihm die Kehle zuschnürte.
„Danke”, flüsterte sie.
Er antwortete nicht. Es war selbstverständlich, dass er ihr half.
„Bestimmt hast du keine guten Erinnerungen an Krankenhäuser”, bemerkte sie nach einer Weile.
„Wer hat die schon?”
„Nicht jeder hat eine solche Vergangenheit wie du.”
Erneut überraschte es ihn, wie einfühlsam sie war, und daraus entstand der Wunsch, mit ihr über all die Dinge zu sprechen, die er bisher sorgfältig unter Verschluss gehalten hatte, sogar gegenüber Kristin. Sie allerdings hatte sich auch gar nicht für seine Vergangenheit interessiert, sondern nur für den Nutzen, den sie aus ihrer Beziehung zu ihm ziehen konnte.
„Wir haben meine Mutter bestimmt über fünfzig Mal besucht, als sie sich in Sydney einer Behandlung unterzog, wie man das nannte. Ich habe nie begriffen, wie man von Behandlung sprechen konnte bei allem, was sie durchgemacht hat.”
Kaum merklich verstärkte Chantal den Druck ihrer Hand, um ihn zu trösten und zu ermutigen. Nun bot sie ihm Kraft an, wie er das vorhin bei ihr getan hatte.
„Ich werde die Eindrücke nicht mehr los”, fuhr er fort. „Die Gerüche, das Rattern dieser Wagen, die in Krankenhäusern benützt werden, das Quietschen der Schuhe der Schwestern auf dem Fußboden. Das alles löst bei mir einen
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