Verführt von einer Lady
Cousin wohl nicht mehr ganz so sehr – in den vier Tagen, seit er ihn mit Amelia im Salon angetroffen hatte, waren ihre Gespräche vollkommen höflich gewesen –, aber er fand ihn immer noch hoffnungslos frivol. Er wusste, dass Audley einmal Offizier gewesen war und demnach Vorsicht und Urteilsvermögen bewiesen haben musste; dennoch war Thomas überzeugt, dass er nicht über die Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit verfügte, die nötig waren, um die Stellung als Herzog vollständig auszufüllen.
Würde er verstehen, dass der Lebensunterhalt, ja das Leben von Hunderten von Leuten von ihm abhingen?
Würde er sich der Tradition, der Geschichtsträchtigkeit dieser Stellung bewusst sein? Der Verantwortung für den Boden, die Äcker, von denen schon Generationen gelebt hatten? Wyndham war mehr als ein Titel, es war …
Es war …
Thomas setzte sich in seinen Lieblingssessel und schloss voll Schmerzen die Augen.
Es war er. Er war Wyndham, und er hatte keine Ahnung, wer er sein würde, wenn er alles verlor. Und es würde so kommen, dessen war er sich mit jedem Tag sicherer. Audley war nicht dumm. Himmel, er würde sie doch nicht alle nach Irland hetzen, wenn am Ziel ihrer Reise nicht der Beweis seiner Legitimität auf sie wartete.
Audley musste wissen, dass er selbst dann mit Geld und Privilegien überschüttet werden würde, wenn er erklärt hätte, seine Mutter sei eine Hafenhure gewesen, die mit seinem Vater ein dreiminütiges Intermezzo erlebt hätte. Ihre Großmutter hatte sich derart in die Vorstellung verbissen, ihr Lieblingssohn habe einen Nachkommen gezeugt, dass sie ihn auch dann mit einem lebenslangen Einkommen versorgt hätte.
Audleys Leben wäre gesichert gewesen, und alles wäre sehr viel einfacher, wenn er illegitim gewesen wäre.
Was hieß, dass er es nicht war. Irgendwo in Irland stand eine Kirche, in der es Beweise gab für die Heirat von Lord John Cavendish und Miss Louise Galbraith. Und wenn sie diese Beweise gefunden hätten, wäre er Mr. Thomas Cavendish, ein Gentleman aus Lincolnshire und Enkel eines Herzogs, mehr nicht.
Was würde er dann mit sich anfangen? Womit würde er seine Tage füllen?
Wer würde er sein?
Er sah auf sein Glas Brandy, das er schon vor einer ganzen Weile geleert hatte, zum dritten Mal, glaubte er. Was würde Amelia dazu sagen? Er hatte ihr gesagt, dass er nicht viel trank, und normalerweise traf das auch zu. Aber sein Leben war in letzter Zeit nicht besonders normal gewesen.
Vielleicht würde das seine neue Gewohnheit werden. Vielleicht würde er nun damit seine Tage füllen – mit dem unwürdigen Versuch, Vergessen zu finden. Wenn er genug Brandy in sich hineingoss, vergaß er möglicherweise, dass er nicht wusste, wer er war, was ihm gehörte oder wie er sich verhalten sollte.
Oder – bei dem Gedanken lachte er grimmig in sich hinein – wie andere sich ihm gegenüber verhalten sollten. Das könnte tatsächlich amüsant werden: zu beobachten, wie die vornehme Welt ins Stottern geriet und nicht wusste, was sie zu ihm sagen sollte. Was für ein makabrer Spaß, bei einer Tanzgesellschaft in den Lincolnshire-Sälen vorbeizuschauen. London wäre noch schlimmer.
Und dann war da noch Amelia. Er würde die Verlobung wohl lösen müssen beziehungsweise darauf bestehen, dass sie sich von ihm trennte, schließlich konnte er als Gentleman nicht von einem Verlöbnis zurücktreten. Aber sie würde ihn bestimmt nicht mehr wollen. Ihre Familie ganz gewiss nicht.
Amelia war dazu erzogen worden, die Duchess of Wyndham zu werden, genau wie er für seine Rolle als Duke geschult worden war. Diese Möglichkeit war ihr nun versperrt, da er nicht glaubte, dass Audley sie heiraten würde. Aber es gab andere Titel in England und nicht nur eine Handvoll unverheirateter Mitglieder des Hochadels. Amelia könnte eine weitaus bessere Partie finden als einen mittellosen Bürgerlichen, der über keinerlei nützliche Fähigkeiten verfügte.
Beziehungsweise über keine Fähigkeiten, die sich für anderes einsetzen ließen als den Besitz großer Ländereien und des einen oder anderen Schlosses.
Amelia.
Er schloss die Augen. Er konnte ihr Gesicht vor sich sehen, die scharfe Neugier in den braun-grünen Augen, die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken. Neulich hätte er sie gern geküsst, mehr, als ihm zu dem Zeitpunkt klar gewesen war. Er lag nachts wach im Bett und dachte an sie, fragte sich, ob er sie jetzt nur wollte, weil er sie nicht länger haben konnte.
Er stellte sich vor, wie er ihr
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