Verfuehrung
fröstelte, und es lag nicht nur daran, dass er in feuchter Kleidung mit ein paar Bettlern und weiteren Reisenden zusammengedrängt unter einem Kirchendach stand. Es hätte anders für Giacomo ausgehen können heute Morgen, teuflisch anders, und das wusste er. Aber so wie sein Leben jetzt gerade aussah, hatte er es sich nicht vorgestellt, und so konnte es auch nicht bleiben. Es machte ihm nichts aus, hin und wieder ein paar Unannehmlichkeiten zu erleben. Sobald er sich wieder im Warmen befand, würde er darüber lachen, das wusste er. Es war das Gefühl der Hilflosigkeit, das er hasste, die Vorstellung, anderen Menschen ausgeliefert zu sein. Er wollte immer ein Mann sein, den andere beneideten, nicht ein Stück Wehrlosigkeit, das nicht mehr Möglichkeiten hatte, Schutz zu finden, wie …
… wie eine Frau. Das war es doch, und als er dies dachte, wusste er, dass er die ganze Zeit vor dem Vergleich zurückgescheut war. Eine Frau. Wenn ein Mann sich in Gefahr begab, sollte es in einem Rahmen geschehen, der ihm die Achtung anderer Männer einbrachte, wie Schlachten oder die Härten langer Reisen ins Unbekannte, wie bei Marco aus dem Hause Polo. Er sollte nicht durch zwei bewaffnete Rüpel in Gefahr geraten, die ihm nahelegen konnten, mit ihnen spazieren zu gehen. Ein Mann war es, bei dem Frauen Schutz suchten und der sie ernährte. Der vage Plan, den er und Calori für die Zukunft gemacht hatten, sah dagegen vor, dass sie ihn ernährte, und in Pesaro hatte er bereits Schutz gebraucht, nicht sie. In welcher Beziehung war er also noch ein Mann?
Er versuchte, an etwas anderes zu denken, starrte auf die Straße von und nach Rimini, die immer mehr von Schlamm und Regen in einen Sumpfpfad verwandelt wurde, und entdeckte eine Karawane von etwa vierzig beladenen Maultieren, die die Straße entlang auf das Stadttor zugetrieben wurden. Die Treiber fluchten, weil die Tiere im Regen einfach unwillig waren, sich zu bewegen. Die Treiber selbst waren durch den Dreck der Straße und zwischen den dichten Regenschlieren kaum voneinander zu unterscheiden.
Das war die Lösung! Er wendete seinen ohnehin reichlich malträtierten Überrock, so dass nur noch das braune Futter zu sehen war. Als er ihn sich wieder überstreifte, senkte er den Kopf und legte dem Maultier, das ihm, als die Herde an der Kirche vorbeizog, am nächsten kam, den Arm auf den Hals. Es war schwieriger, sich dem langsamen Schritt der Tiere anzupassen, als er gedacht hatte, doch er durfte um nichts in der Welt auffallen und schon gar nicht eines der Tiere aus seinem Rhythmus bringen. Ob die anderen Treiber ihn bemerkten oder nicht, war nicht festzustellen, weil er sich verbot, sich umzuschauen. Er musste nur wie einer der ihren wirken.
Schritt, Schritt, Schritt, aber nicht zu schnell, nicht in irgendeiner Weise schnell, auch wenn alles in ihm danach schrie. Der lange Regen hatte dafür gesorgt, dass sein Maultier zum Himmel stank. Er vergrub seine Hände trotzdem in dem Fell des Tieres. Schritt, Schritt, Schritt, dann hatten sie die Stadttore erreicht. Schritt. Ruhe. Schritt. Ruhe, Ruhe, und was war das, was riefen die Wachen?
Weiter. Weiter, nur zu, was riefen sie? Er verbot sich, auszuatmen. Schritt, Schritt, Schritt, bleib im Rhythmus, das ist immer noch zu nahe am Tor, Schritt, Schritt, Schritt, und noch ein Schritt. Giacomo gestattete es sich erst sehr spät, den Blick zu heben und vorsichtig den Kopf zu wenden. Schritt, Schritt, doch nun waren sie außer Sichtweite der Stadtwachen. Er ließ sofort das Maultier los und entwich in die nächste Seitengasse.
Giacomo brauchte nicht lange, um einen Streuner zu finden, der ihn zu der Adresse führte, die man ihm zugeflüstert hatte. Unter anderen Umständen wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, nach Maultier stinkend, völlig verdreckt und durchnässt bei einer Frau zu erscheinen, an der ihm so viel lag. Aber erstens wogen verletzter Stolz und Zweifel nicht die Sehnsucht nach Calori auf, und zweitens hätte nur ein Narr eine nasse Landstraße der Chance vorgezogen, in den Armen seiner Geliebten warm zu werden . Calore, dachte er. Wärme.
Giacomo erinnerte sie an nichts und niemanden so sehr wie an einen empörten Kater, den jemand in den Fluss geworfen und wieder herausgezogen hatte, aber so, wie er auf der Schwelle ihrer Wohnung stand, war er heil und ganz, ohne die Wundmale der armen Maria, und vor allem am Leben. Es war der schönste Anblick seit langem, und sie warf sich in seine Arme.
»Meine Dame, fast
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