Verfuehrung
hätte.
»Lassen Sie uns nicht länger um den heißen Brei reden, Don Sancho. Ist mein Engagement in Neapel davon abhängig, dass ich ohne Giacomo dort eintreffe?«, fragte sie langsam, und jedes Wort tat ihr weh, als sei sie tatsächlich erkältet und ihre Stimme rauh und hässlich.
Der Spanier räusperte sich. »Nein. Ob Sie die Stelle behalten, weitere in ganz Europa auf meine Empfehlung hin bekommen, das ist in erster Linie von Ihrer Stimme abhängig, denn allein, um mir einen Gefallen zu erweisen, würde weder dieser Herzog noch ein anderer eine Stümperin beschäftigen. Das Publikum in Neapel hat sogar die Angewohnheit, handgreiflich gegenüber Sängern zu werden, die es enttäuschen, und dabei geht häufig auch ein Teil der teuren Bühnendekoration mit drauf. Aber sehen Sie, Bellino … Signorina Calori … Sie wissen, Sie würden nicht nur nach Neapel gehen, um zu singen. Und glauben Sie wirklich, ein Mann wie unser Abbate wäre gewillt, sich stets im Hintergrund zu halten und kein Aufsehen zu erregen, während Sie Ihren beiden Tätigkeiten nachgehen?«
Sie hätte sagen können, dass die Österreicher Giacomo für fähig hielten, die gleiche Tätigkeit auszuüben, aber sie tat es nicht. Das war etwas, das Don Sancho, ganz gleich, wie freundlich er bisher zu ihnen beiden gewesen war, ganz gewiss nicht erfahren sollte. Außerdem änderte es nichts an den anderen Gedanken, die er ihr gerade einflößte wie bittere Medizin in süßen Wein. »Ehrlich gesagt«, fuhr Don Sancho fort, »bezweifle ich sogar, dass er in der Lage sein wird, sich im Hintergrund zu halten, wenn Sie nichts anderes tun, als zu singen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Er ist ein amüsanter junger Mann, sogar mehr als das. Er hat eine seltene Gabe, die Welt so zu nehmen, wie sie ist, statt sie wegen ihrer Schlechtigkeit zu verdammen oder darauf zu beharren, sie besser zu sehen. Aber er ist auch ein junger Mann, der selbst die Aufmerksamkeit braucht und immer im Mittelpunkt allen Aufsehens stehen muss. Kein Mann für die Schatten. Es ist Ihre Entscheidung. Nehmen Sie ihn ruhig nach Neapel mit. Aber ich prophezeie Ihnen, dass Sie sich dort beide sehr schnell gegenseitig unglücklich machen werden, und dieses Unglück wird Ihnen im Gegensatz zu Ihrer Stimme und den Geheimnissen, die so manche ausplaudern könnten, eher Ungenießbares einbringen, was Sie unglücklich macht. Ihr Abbate ist wie ein Komet, der plötzlich auftaucht, erstrahlt und schnell wieder verschwindet, und wenn Sie versuchen, ihn zu halten, stehen Sie irgendwo mit totem Stein in der Hand da. Aber Sie, mit Ihrer Stimme, Ihrem Talent, Sie könnten ein Fixstern werden.«
»Er ist kein Abbate mehr«, sagte Calori tonlos, während sie an den Streit im Gasthaus dachte und daran, wie er in Rimini mit Petronio aneinandergeraten war. Und doch konnte sie immer noch seinen Körper spüren, wenn sie die Augen schloss, sein Lachen hören. Seine Finger auf ihrer Haut …
Plötzlich sah sie ihre Mutter und Falier vor sich, und ihr wurde übel. Das ist nicht dasselbe, sagte sie sich entsetzt . Das ist ganz und gar nicht dasselbe!
»Ah«, sagte Don Sancho sachte, und nichts weiter. Nach einer Weile sprach er von Neapel und erwähnte, dass der Herzog weder der spanischen noch der österreichischen Partei angehöre, weswegen bei ihm auch der übrige alte Adel der Apenninenhalbinsel ein und aus gehe, und nicht nur der neapolitanische. Auch die Contessa Giulia aus Pesaro, beispielsweise, werde im Mai dort erwartet.
Wie bei ihrer letzten Unterredung mit ihm in Ancona erkannte sie, dass diesen kleinen, unscheinbaren Mann zu unterschätzen tödlicher Leichtsinn wäre. Nicht, dass er über die Contessa Bescheid wusste, ließ sie frösteln, sondern dass er sich die Mühe gemacht hatte, hier die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Und sie waren richtig. Die Aussicht darauf, erneut mit der Contessa die Klingen zu kreuzen, sich für das zu bedanken, was sie angerichtet hatte, wäre selbst dann ein Grund gewesen, nach Neapel zu gehen, wenn sich dort nicht die berühmteste Oper von ganz Italien befunden hätte.
Es zeigte ihr wiederum, dass Don Sancho als Feind zu haben gefährlicher sein mochte als ein Dutzend Contessas.
Sie fragte sich, was er wohl täte, wenn sie ihm von ihrer Mutter erzählte, und von Falier. Ob er ihr anbieten würde, Falier zugrunde zu richten, wenn sie ihm erst regelmäßig Auskünfte brachte? Aber wollte sie das wirklich? Angenommen, Falier träfe heute der
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