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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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noch sehr jung war und sich noch oft verlieben würde, dass jeder junge und schwärmerische Mensch meine, die erste Liebe sei für immer, und es danach doch anders lernte. Aber sich auf das zu berufen, was ihm heilig war, die Musik, die sein Leben erst lebenswert machte, das war etwas anderes, dieses Argument musste er verstehen. Er hatte einmal behauptet, dass er sich selbst in ihr sah. Nun, dann konnte er ihre Argumente nicht ignorieren und sie in ein frühes Grab legen lassen.
    Es herrschte Stille zwischen ihnen, die so groß war, dass sie sogar das leise Murmeln der alten Frauen drei Reihen vor ihnen hörte, die ihren Rosenkranz beteten. Doch er ließ ihre Schultern nicht los. Endlich sagte er: »Wenn du wirklich deine Stimme zu deinem Leben machen willst, dann musst du dir im Klaren darüber sein, dass wir Sänger gerade in unseren Anfangsjahren und ganz gewiss dann, wenn wir unsere Glanzzeit überschritten haben, auf Gönner angewiesen sind. Dir ist jetzt ein Mann zuwider. Was wirst du tun, wenn deine Karriere von einem anderen abhängt, der Falier im Vergleich wie einen Ausbund an Tugend und Liebenswürdigkeit erscheinen lässt, aber ungleich mächtiger im Musikgewerbe ist? Und danach der Nächste? Und dann der Nächste und seine Frau?«
    Das wird nicht geschehen, weil du bei mir sein wirst, dachte sie mit der Überzeugung ihrer Jugend, aber sie wusste, dass es die falsche Antwort wäre.
    »Ich werde tun, was ich muss, um singen zu können«, entgegnete sie stattdessen und versuchte, es so überzeugend zu sagen, wie er sang, wenn er als Caesar Cleopatra unsterbliche Liebe schwor.
    »Ich kann dich nicht als meine Schülerin mitnehmen«, sagte er abrupt, und sie glaubte, sie sei gescheitert. Betäubung begann sich wie Frost in ihrem Körper auszudehnen. »Aber … als meinen Schüler.«
    Ihr Kopf schnellte in die Höhe. »Wie meinst du das?«
    »Zwei Kastraten«, sagte er langsam, »dürfen zusammenleben. Niemand wird das beanstanden. Sogar Gönner werden nicht eifersüchtig sein.« Seine Mundwinkel senkten sich in einem bitteren, auch sich selbst geltenden Hohn. »Was können schließlich zwei Kapaune miteinander tun?«
    Sie sah es vor sich, ein gemeinsames Leben, Seite an Seite, auf der Bühne und im Leben. Es war zu schön, um wahr zu sein, und es würde wahr werden!
    Mit seiner gewohnten Manier, alles, auch das, was er selbst vorschlug, gleichzeitig in Frage zu stellen, fügte er hinzu: »Sag nicht sofort ja. Frage dich erst, ob du wirklich bereit bist, Jahre deines Lebens den Kastraten zu spielen. Es mag sehr wohl sein, dass du in ein paar Jahren als Frau wirst leben wollen und dir viel mehr wünschen wirst als das, was ich dir geben kann. Außerdem gilt immer noch, was ich vorhin gesagt habe. Du bist noch lange nicht so weit für einen öffentlichen Auftritt und brauchst mehr Unterricht. Wenn du als Kastrat durchgehen willst und vom Kontraalt über den Mezzosopran bis hin zum Sopran singen musst, gilt das doppelt. Unsere Partien sind ungleich schwieriger als die der Sängerinnen.«
    »Aber du glaubst, dass ich es schaffen kann«, stellte sie fest, und das war das schönste Kompliment, das er ihr je gemacht hatte; das hieß, dass er wirklich ihre Stimme für ebenbürtig hielt, wenn sie erst ausgereift war. »Du glaubst«, wiederholte sie und sang es zur Melodie von Händels berühmtester Arie, Ombra mai fù, die zu Appianinos Glanzstücken bei Salonkonzerten gehörte. »Du glaubst, so zart und schön …«
    Er lächelte, und sie fügte einen Triller hinzu.
    »So klinge ich nicht.«
    »Aber ich«, sagte sie atemlos. »Und ich improvisiere. Fioriture. «

    Wie sich herausstellte, barg der Brief aus Venedig tatsächlich das Angebot eines Engagements, doch nicht eines Engagements in Venedig. Der Brief war lediglich von dort weitergeleitet worden und stammte ursprünglich aus Dresden. Der Kurfürst von Sachsen und König von Polen war geradezu vernarrt in italienische Künstler und zudem bestrebt, zu beweisen, dass der sächsische Hof an Glanz nicht nur dem des verfeindeten Nachbarn Preußens, sondern sogar dem kaiserlichen Hof Wiens gleichkam. Deswegen wünschte er sich nun einen Kastraten, der bereits vom Kaiser für gut befunden worden war. Das Gehalt, das geboten wurde, war fürstlich.
    »Davon kann ich dir einen Lehrer bezahlen«, sagte Appianino, »und die Familie, die du brauchen wirst.«
    »Die Familie?«
    »Angiola«, sagte er sehr ernst, »es wird nicht damit getan sein, Hosen zu tragen. Außerdem

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