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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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heuchlerischer Abbate, der den Geizhals schon halb ins Totenbett gebetet hatte, und sie schaute bei ihrem Vortrag dabei direkt auf den Venezianer. Er schien sich keineswegs getroffen zu fühlen, aber er schenkte den beiden Schwestern keine Beachtung mehr, sondern blickte zu ihr, mit einem Lächeln um die Lippen, leicht vorgelehnt und das Kinn in eine Hand gestützt. Dabei betrachtete er sie, als könne er durch ihre Verkleidung hindurchsehen.
    Was er nicht konnte, sagte sich Bellino, doch ihr wurde trotzdem warm. Sie war es mittlerweile gewohnt, von einigen Zuhörern nicht nur bewundert, sondern auch begehrt zu werden, und das war ganz und gar kein schlechtes, sondern ein gutes Gefühl, auch weil sie wusste, dass diese Männer und Frauen in die Illusion vernarrt waren, die sie ihnen gab. In ihr Geschöpf, das sie zum Leben erweckt hatte. Sie selbst sah keiner, und so gehörte sie immer nur sich. Es war dem nicht unähnlich und oft ein Teil des Gefühls, das sie erfasste, wenn sie spürte, dass sie ein Publikum mit ihrer Stimme erreichte: Sie bot einen Teil von sich dar und wurde dafür bewundert, weil man das, was sie geschaffen hatte, den Kastraten Bellino, als schön empfand.
    Das Mädchen Angiola Calori war nur von dem widerwärtigen Liebhaber ihrer Mutter begehrt worden, und von Appianino, dessen Tod ihr das Herz gebrochen hatte. Der Kastrat Bellino dagegen war selbst in der Lage, Herzen zu brechen, und blieb dabei unerreichbar. Das war besser. Viel besser. Sie wollte nie wieder Angiola sein, und auch keine Frau, außer auf der Bühne, wo sie ein Mann war, der in manchen Rollen vorgab, eine Frau zu sein. Sie wollte sich nicht wieder verlieben, weder als Frau noch als Mann. In wen denn auch? Gewiss in niemanden, der nur wahrnahm, was sie vorgab zu sein, und das traf bisher noch auf jeden zu. Dieser Casanova war auch nicht anders. Sie hatte nur seine Selbstgefälligkeit etwas erschüttern wollen, und gut, das war ihr gelungen. Nun war es Zeit, den Sprung in das kalte Wasser zu wagen und sich Son qual nave vorzunehmen.
    »Cecilia«, sagte sie zu der älteren Lanti-Schwester, »du kannst mich begleiten.«
    Cecilia, die eben noch geschmollt hatte, weil der Abbate sie nicht mehr beachtete, strahlte, sprang auf und tauschte mit Bellino den Platz am Piano. Dabei war Bellinos Wahl auch Strategie; es fiel ihr leichter, eine solche Arie zu singen, wenn sie sich nicht gleichzeitig auf das Spielen eines Instrumentes konzentrieren musste. Wenn sie dabei auf und ab gehen konnte. »Eine Kofferarie«, hatte Appianino zu ihr gesagt und dabei den Ausdruck gebraucht, unter dem diese für das Stimmvermögen von Sängern maßgeschneiderten Arien bekannt waren, »will nicht nur mit der Stimme vorgetragen werden, sondern mit dem ganzen Körper. Sie will gelebt werden!«
    Sie hatte die Rolle des Arbace noch nie auf der Bühne gehabt, doch das Libretto für Artaserse war das beliebteste, das der große Dichter Metastasio je verfasst hatte, und war bisher schon von fast vierzig Komponisten vertont worden. Zweifellos würden es noch mehr werden. Also kannte Bellino den Inhalt in- und auswendig. Wenn ihr jetzt etwas helfen würde, dann, nicht an den großen Farinelli zu denken, und wie er diese Arie wohl gesungen haben mochte, und schon gar nicht in Erinnerung an den Vortrag ihres Appianino. Nein, sie musste nur an Arbace denken, Arbace sein, dessen Vater den Vater seiner Geliebten getötet hat und nun plante, auch Arbaces besten Freund zu töten.
    »Son qual nave«, sang Bellino, und ihr Körper zitterte unter der Last, »ich bin wie ein Schiff, das zwischen den Klippen hin und her geworfen wird …«
    Arbace war nicht nur hin- und hergerissen. Arbace fühlte sich von seinem Vater verraten und doch unfähig, die Wahrheit zu sagen. Ein Teil von Arbace wollte nur mit seiner Geliebten glücklich sein, und ein Teil fragte sich zornig, wann die Lügen endlich ein Ende haben würden.
    Sie ließ die kauernde Haltung hinter sich und reckte sich der Welt entgegen, die ohne Betrug nicht hingenommen werden wollte und Verrat zum Grundprinzip machte. Ihre Stimme wand sich und schmiegte Kadenz an Kadenz, und wenn Cecilia nicht immer mit der Begleitung nachkam, so hörte das an diesem Abend niemand. Don Sancho hatte die Augen längst wieder geöffnet und betrachtete sie wie gebannt. Der Welt ungeeignetster Abbate hatte die Heringe, die ihm der Wirt zu guter Letzt dann doch noch gebracht hatte, um ihm ein fastengerechtes Abendessen zu bieten, nicht

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