Verfuehrung
sagte Marina sofort, als sich ein begreifendes Lächeln in Don Sanchos Gesicht breitmachte. »Bitte. Ich bin schneller und kräftiger als Cecilia. Cecilia überlegt noch, wenn ich schon eine Antwort habe. Und es sollte immer das schönste Mädchen im Raum sein«, schloss sie mit einem herausfordernden Blick auf Bellino in ihrem Frauenkostüm.
Oh, keine Sorge, dachte sie. Ihr ging es darum, Don Sancho ihre Wandlungsfähigkeit vor Augen zu führen, und es waren die Rollen, in denen man so richtig aus sich herausgehen konnte, die komischen Alten und Tolpatsche, die das ermöglichten, nicht die hübsche Heldin. »Ich bin Dottore«, entschied sie. »Aber gerade, weil du schneller bist, musst du Brighella sein, Marinetta. Brighella zettelt doch immer alles an! Cecilia ist Columbina.«
»Und der Abbate ist Arlecchino?«, fragte Cecilia erfreut.
»Nicht doch. Petronio spielt Arlecchino. Als Venezianer muss der Abbate Pantalone sein«, gab Bellino zurück, und das Beste war, dass sich niemand der Logik dieses Arguments verschließen konnte, denn Pantalone, der geizige alte Kaufmann, kam immer aus Venedig.
»Da sehen Sie, wie man uns in den übrigen italienischen Städten verleumdet«, sagte Casanova zu Don Sancho. »Ich schwöre, dass es der reine Neid ist.«
»Ich kann es gar nicht erwarten, Sie als alten Geizhals zu sehen«, gab Don Sancho zurück, der sich offenbar vom Geist der Commedia anstecken ließ. Bellino gestattete sich ein erleichtertes kleines Ausatmen.
»Nach den Muscheln«, sagte sie. »Sonst dreht mir Marina als Brighella den Hals um.«
Sich den Muscheln zu widmen ließ zunächst eine zufriedene kleine Stille eintreten, bis Casanova in Bellinos Richtung murmelte: »Wissen Sie, ich könnte mich herausreden und behaupten, dass ich ein zu großer Goldoni-Anhänger bin, um mitzumachen.«
Es war eine Anspielung auf den Streit zwischen Goldoni und Gozzi, den beiden großen venezianischen Komödienautoren. Melani, der auf Improvisation schwor, und nicht nur in der Musik, hatte sich sehr erbost darüber geäußert, dass sich jetzt »so ein eingebildeter venezianischer Advokat«, womit er Goldoni meinte, darauf versteifte, die Commedia dell’Arte neu erfinden zu müssen, mit einem festgeschriebenen Text und Schauspielern, die nur sagten, was in ihrer Rolle stand. Wenn das wirklich Schule machte, befürchtete Melani, dann ging es mit der Schauspielkunst gewiss den Bach hinunter, und die Gesangskunst würde folgen.
»Dann hätten Sie bereits improvisiert«, erwiderte sie leise. »Eine Lüge im Pantalone-Stil noch dazu, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie irgendeiner Überzeugung so sehr anhängen, um bei etwas, was alle lieben, nicht mitzumachen.«
»Vielleicht schätzen Sie mich falsch ein.«
»Vielleicht«, gab sie zu, nahm seinen Satz auf, wie sie es bei einem Gesangsvortrag getan hätte, und modulierte ihn durch das Höhersteigen ihrer Stimme in eine Frage. »Schätze ich Sie falsch ein?«
»Wenn ich Ihnen verrate«, sagte er auf einmal, und jegliche Heiterkeit verschwand aus seinem Gesicht, »dass ich einmal geschworen hatte, alles zu werden, nur kein Komödiant, und die Bühne für alles verantwortlich gemacht habe, was ich nicht haben konnte, würden Sie mir das glauben?«
Unwillkürlich stand der stumme Junge vor ihren Augen, und seine schöne Mutter, die unter gemalten Sternen eine ganze Stadt in ihren Bann schlug.
»Ich würde Ihnen glauben, dass es einmal so war«, sagte sie, sich vom Spiel zur Behutsamkeit und wieder zurück tastend, »aber nicht, dass es immer noch so ist.«
»Warten wir bis nach den Austern, um es herauszufinden.«
Der salzige, süffige Geschmack der Austern rundete das Essen ab, und Don Sancho schwor, er werde dieses Gasthaus jedem Reisenden empfehlen. Den Champagner hatte er allerdings selbst mitgebracht, genau wie einen süßen spanischen Wein, den er Peralta nannte.
»Misstrauen gegen italienische Reben?«, fragte Casanova.
»Nicht doch«, protestierte Don Sancho, doch dann überraschte er Bellino, denn er fügte hinzu: »Wären wir in Neapel, dann stünden die Dinge allerdings anders. Der König ist nun schon ein paar Jahre an der Macht, aber der dortige Adel hat die hässliche Angewohnheit, uns Auswärtigen übelzunehmen, wenn ihnen einige ihrer Privilegien fortgenommen werden. Die Art, wie ein neapolitanischer Adliger etwas übelnimmt, äußert sich hin und wieder durch ein paar fatale Tropfen in einem sonst hervorragenden Getränk.«
»Dann lassen Sie
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