Verfuehrung
Ihre Verkleidung. Ich wünschte, ich wäre nicht gezwungen, Ihnen zu glauben, Bellino, ich wünschte es wirklich.«
»Es ist nur Ihr Drang, recht zu behalten, der Sie plagt, denn sonst hätten Sie weniger Schwierigkeiten mit einer Wahrheit, die nicht die Ihre ist«, gab sie leichthin zurück, als führten sie nur eine Salonplauderei. »Aber es ist nun einmal so, dass die Rechthaberei, nicht die Gier nach Geld, Essen, Wein oder Fleisch, das stärkste aller Laster ist. Wer will schon nicht immer das letzte Wort behalten?«
»Ich würde ja protestieren, dass Sie der Menschheit unrecht tun«, sagte Casanova, »doch ich will auch immer das letzte Wort behalten, da haben Sie recht.«
Damit verließ auch er Don Sanchos Zimmer, gefolgt von Petronio.
»Trotz allem ein reizender junger Mann«, sagte Don Sancho. »Möchten Sie noch etwas Wein, ehe Sie sich ebenfalls zurückziehen, Bellino? Einmal angebrochen, verliert der Champagner seinen Reiz, wenn man ihn zu lange stehen lässt.«
»Gerne.«
Sie wusste nicht, was sie erwartete. Er hatte ihr bisher auf keine Weise den Hof gemacht, aber niemand konnte wirklich in die Seele eines anderen blicken. Es war gewiss zu viel verlangt, darauf zu vertrauen, dass Don Sancho nichts anderes war als das, was er zu sein schien: ein Mann, der die Musik und schöne Stimmen liebte und für seine Großzügigkeit nicht mehr als den bestmöglichen Kunstgenuss haben wollte.
Der Champagner war kühl und anfeuernd zugleich. Oder vielleicht rührte ihre gute Stimmung von dem Gefühl der Leichtigkeit, die sie jedes Mal in sich spürte, wenn sie mit ihrer Stimme ihre Zuhörer erreicht hatte.
»Wohin wird Sie Ihr Weg als Nächstes führen, Don Sancho?«
»Nicht nach Rimini, leider«, erwiderte er bedauernd. Er schenkte sich selbst ebenfalls nach, dann fragte er: »Wie stellen Sie sich eigentlich Ihre Zukunft vor, Bellino?«
Sofort spannte sich alles in ihr. Das war es, jetzt musste kommen, worauf sie gewartet hatte. Was war besser, eine geistreiche Antwort oder eine ehrliche? Oder eine gelogene, bescheidene? Vielleicht war es der Wein in ihren Adern oder der Umstand, dass heute Abend bereits eine ihrer Lügen offenbar geworden war, denn sie gab ehrlich zurück: »Auf der Bühne. Immer auf der Bühne. Aber nicht irgendeiner. Ich möchte in Neapel singen, das meinte ich vorhin ernst, und später einmal in Venedig und allen Ländern Europas. In Wien, vor der Kaiserin, wie Salimbeni und Appianino. In Sachsen, wie Sorlisi. In London, wo sie Farinelli zum Gott erklärt haben.«
Don Sancho staffelte seine Finger ineinander und lehnte sich nach vorne.
»Und was noch?«
Sie wollte ihre – Angiola Caloris – Mutter wiedersehen, herausfinden, was aus ihr geworden war, und sich mit ihr versöhnen. Nach den Jahren mit Mama Lanti sah sie nun manches anders. Doch das war nichts, was sie Don Sancho erzählen konnte oder wollte, selbst wenn er in ihr Geheimnis eingeweiht gewesen wäre. Es war zu persönlich. Don Sancho schien es jedoch um etwas ganz anderes zu gehen.
»Don Sancho, Sie wissen doch, dass es uns Kastraten verboten ist, zu heiraten«, sagte Bellino zurückhaltend. »Oder glauben Sie, wie es der Abbate getan hat, dass ich kein Kastrat bin? Er ist nicht mehr dieser Meinung, und dafür gibt es einen Grund.«
»Oh, der Abbate scheint mir einer jener Männer zu sein, die die Hoffnung, die Welt könnte doch so sein, wie sie die Welt sich wünschen, nie ganz aufgeben«, entgegnete Don Sancho trocken, »aber darum geht es mir ganz und gar nicht. Sehen Sie, mein lieber Bellino, mir ist es gleich, ob Sie Mann, Frau oder ein Drittes sind. Das ist Ihre Angelegenheit und die Ihres Beichtvaters, falls Sie einen haben. Was ich jedoch wirklich fesselnd finde, neben Ihrer Stimme, versteht sich, ist, dass Sie sich glaubwürdig als beides ausgeben können, Mann oder Frau. Das findet man ganz selten.«
Sie wünschte sich unwillkürlich, sie könnte um noch ein Glas Champagner bitten, aber das hieße, eine Schwäche einzugestehen, und Bellino wollte auf alles vorbereitet erscheinen.
»Ist das so?«
Don Sancho schnalzte bedauernd mit der Zunge. »Leider. Die meisten Menschen bestehen zu sehr darauf, entweder das eine oder das andere zu sein, selbst die Kastraten. Dabei gibt es Dinge, die nur ein Mann in Erfahrung bringen kann, und andere Dinge, die nur eine Frau in Erfahrung bringen wird. Außerdem kann nur ein ganz geringer Kreis von Personen unauffällig von Ort zu Ort, von Hof zu Hof reisen. Und nichts ist
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