Verfuehrung
quengelig: »Ist es jetzt Zeit für die Commedia?«
»Ich dachte, die hätte schon längst angefangen«, sagte Casanova harmlos.
»Dass Sie schon in die Rolle geschlüpft sind, merkt man«, kommentierte Bellino und entschied, dass es plump wäre, noch einmal nach Neapel zu fragen. Und die Commedia dell’Arte war eine ideale Möglichkeit, ihren Gefühlen Luft zu machen, ohne sich etwas zu vergeben.
Der Dottore war immer ein alter Wichtigtuer, der ständig zu viel redete und den Leuten alle möglichen Krankheiten andichtete, und da sein bevorzugtes Opfer für eingebildete Krankheiten der Pantalone war, hatte Bellino durch diese Rolle jede Entschuldigung, um unter dem Vorwand der Untersuchung dem Venezianer die Haare und Ohren langzuziehen. Sogar Schienbeintritte wären erlaubt gewesen, aber leider sabotierte Casanova ihren Racheplan. Als sie seinen Kopf nach hinten zog, unter dem Vorwand, seinen Rachen zu inspizieren, flüsterte er: »Ich wusste, dass Sie es nicht abwarten können, Ihre Hände an mich zu legen.«
»Der Patient ist im Delirium«, verkündete Bellino laut, doch von nun an hielt sie sich mit den Berührungen zurück.
Petronio und die Mädchen fanden schnell in ihre Rollen. Jeder von ihnen hatte Hunderte von Arlecchinos, Brighellas und Columbinas erlebt, und wenngleich kaum einer der Scherze, die sie machten, von ihnen selbst stammte, waren sie doch witzig und logisch aneinandergereiht, und Don Sancho genoss die Angelegenheit genug, um wiederholt laut zu lachen und in die Hände zu klatschen. Was den Venezianer betraf, so hatte er entweder noch mehr Pantalones gesehen als sie und kannte entsprechend mehr Witzmomente, oder er konnte nicht nur im Leben gut improvisieren. Er hätte sie vorhin um ihre Chance auf Neapel bringen können, also war Bellino rechtschaffen zornig auf ihn, doch nach ein paar Boshaftigkeiten des Dottore und Casanovas hinterlistiger Unterstellung, sie würde das Spiel zur Erfüllung eigener Sehnsüchte benutzen, konnte sie ihrem Ärger nicht mehr völlig freien Lauf lassen. Letztendlich war alles gutgegangen, und Don Sancho hatte eindeutig irgendetwas im Sinn, was sie betraf.
Sie fragte sich, was Petronio und die Mädchen von ihr dachten. Bestand die Möglichkeit, dass sie glaubten, ihre Mutter habe gelogen hinsichtlich der Stadt, in die Bellino geschickt worden war? Vielleicht. Hoffentlich. Nein, bestimmt nicht.
»Arlecchino, du musst alle Liebe aufgeben, wenn du deine gefährliche Krankheit überleben willst, und Columbina zu mir in Behandlung geben«, sagte sie, und Petronio-als-Arlecchino nannte sie einen gemeinen Lügner.
Am Ende entkamen Arlecchino und Columbina den beiden Alten, und Brighella wurde in Columbinas Kleidern, verkörpert durch einen Umhang, aus Versehen Pantalone anvertraut; Don Sancho wischte sich die Lachtränen aus den Augen und applaudierte so heftig, dass der Wirt glaubte, er sei gerufen worden, und den Raum betrat. Bellino nutzte die Gelegenheit, um ihn zu bitten, ihr das Reisespinett zu bringen. Cecilia war noch außer Atem, und wenn sie heute bei der Laute etwas verpatzte, dann würde es Bellino aus dem Konzept bringen. Ehe sie nicht mit allen Lantis unter vier Augen gesprochen hatte, würde sie glauben, dass es als Strafe für ihre Lügen gedacht war.
Besser, all dem noch eine Weile aus dem Weg zu gehen.
Also begleitete sie sich selber und wählte eine Arie, in der sie ein Mann war, keine Frau: Aeneas, der Dido erklärt, warum er sie verlassen muss. Bedauern und Entschlusskraft in Töne zu zwingen, sperrte alles andere aus. Aber das half nur, bis sie mit dem Lied fertig war und glaubte, jede Sekunde in Stille verklingen zu hören, bis Don Sancho und Casanova applaudierten, gefolgt von Cecilia, Marina und Petronio. Taten die Mädchen das heute nur pflichtgemäß? Schaute Petronio enttäuscht? Oder bildete sie sich das alles nur ein?
Don Sancho jedenfalls war bester Stimmung, und darauf kam es an, beruhigte sich Bellino. Cecilia erklärte, sie sei müde, Marina dagegen konterte sofort, sie sei sehr wach und hätte noch große Lust auf eine Nachspeise, doch bitte sie ebenfalls um Entschuldigung, denn sie wolle sich jetzt zurückziehen. Dabei warf sie Casanova einen bedeutungsvollen Blick zu, ehe sie mit ihrer Schwester hinauslief.
»Als alter Geizhals aus Venedig muss ich meinen Knochen wohl ebenfalls Ruhe gönnen«, meinte Casanova, verabschiedete sich von Don Sancho und überraschte Bellino damit, dass er ihr die Hand küsste.
»Ein Tribut an
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