Verführung auf Burg Kells (German Edition)
Wandbehängen, wo eine Steintreppe steil nach oben führte. „Unser Haus ist eigentlich ein Turm“, sagte sie. „Es gibt nur einen Raum auf jedem Stockwerk, und überall gibt es Treppen. Vater meint, ein solches Haus sei leichter zu verteidigen, und bisher hat er Recht behalten.“
Helen, die älteste Tochter, folgte den beiden. Sie hatte Ebony seit der Begrüßung kaum aus den Augen gelassen. Die Ähnlichkeit der Zweiundzwanzigjährigen mit ihren jüngeren Schwestern beschränkte sich nicht nur auf das prachtvolle lange Haar, dessen Farbe allerdings mehr einem reifen Kornfeld glich, während das Haar ihrer Schwestern beinahe silbern schimmerte. Auch sie trug das Haar offen, das ihr wie ein Umhang über die Schultern bis zu den Hüften floss und ihre üppigen Brüste und eine schmale Taille nur erahnen ließ. Ihr leuchtend blaues Kleid betonte die verführerischen Rundungen ihrer Hüften und mündete in einen Rock von glockiger Fülle, die durch keilförmig eingesetzte Stoffbahnen erreicht wurde, wie Ebony mit Interesse registrierte.
Seit drei Tagen trug sie das gleiche, alte graublaue Wollkleid und kam sich in dem zerknitterten, lehmbespritzten Gewand und mit zerzaustem, strähnigem Haar nun recht schäbig vor. Doch ihre Besorgnis, in diesem Zustand an der Geburtstagsfeier teilnehmen zu müssen, erwies sich als unbegründet; zwei Schwestern bemühten sich eifrig um sie und boten sich als Zofen an. Christina borgte ihr ein cremefarbenes, in schmale Falten gelegtes Kleid, das unter einem seitlich offenen, mit Zwiebelschalen zu einem warmen Goldton gefärbten Übergewand zu tragen war, das Selena ihr förmlich aufdrängte. Christina, die redseligste der drei Schwestern, bewunderte die Wirkung mit seitlich geneigtem Kopf. „Du füllst das Kleid besser aus als ich“, sagte sie und griff sich mit beiden Händen an die Brüste.
Ebony lächelte. „Das kommt von der Mutterschaft“, sagte sie.
„Du hast Kinder?“ fragte Helen, hinter deren Neugier sich entweder Neid oder Skepsis zu verbergen schien.
Ebony drehte sich der Fragestellerin zu, die, wenn es nach Alex gehen würde, keine Fragen stellen sollte. „Ich habe einen kleinen Sohn. Sam ist sechs Jahre alt. Ich habe ihn bei meiner Schwägerin gelassen und bin zum ersten Mal von ihm getrennt.“
„Dann ist er im gleichen Alter wie …“
„Helen!“ Christinas leise Warnung schnitt der Schwester das Wort hab.
Plötzlich hatte Ebony das Bedürfnis, den Schwestern mehr von sich zu erzählen. „Vor drei Jahren habe ich meinen Ehemann bei einem Überfall verloren“, erklärte sie und wunderte sich über ihre feste Stimme. „Räuber haben unser Haus überfallen. Auch ihr seid gewiss nicht von Überfällen verschont geblieben, so nah an der Grenze.“
„Zu nah an der Grenze“, antwortete Helen. „Unser Vater und unsere Brüder verfolgten vor einem Jahr eine Räuberbande. Dabei kamen unsere beiden Brüder ums Leben.“
Ebony spürte, wie der alte Schmerz wieder in ihr aufstieg. „Oh Gott“, sagte sie. „Wir furchtbar. Das tut mir Leid. Erst vor einem Jahr! Ihr seid gewiss noch in Trauer. Waren sie älter als ihr?“
„Sie waren unsere Zwillingsbrüder“, antwortete Christina leise.
Der Schmerz in Ebonys Brust drohte ihr das Herz zu zerreißen. „Zwillinge! Ihr
beide
habt einen Zwillingsbruder verloren? Das ist ja, als seid ihr nur …“ Sie hielt erschrocken inne, aber nicht schnell genug.
„Ja, wir sind nur eine Hälfte eines Ganzen. Dieses Gefühl haben wir immer noch. Es ist sehr merkwürdig. Aber einen Ehemann zu verlieren muss ähnlich schmerzhaft sein. Doch wir haben gottlob immer noch ein Dach über dem Kopf und genügend zu essen und müssen nicht hungern, und das ist mehr, als den Dorfbewohnern geblieben ist.“
„Sie haben schlimmes Leid durchgemacht, nicht wahr?“
„Gretna wurde niedergebrannt“, sagte Helen. „Aber Vater ist fest entschlossen, hier zu bleiben, und bisher konnten wir uns erfolgreich verteidigen. Unsere Mutter würde allerdings lieber heute als morgen von hier fortgehen, wenn es nach ihr ginge. Sie hat uns gelehrt, tapfer zu sein.“
„Und Selena? Leidet sie sehr unter dem Verlust ihrer Brüder?“
„Sie trauert genauso um sie wie wir. Aber man darf sich von seiner Trauer nicht überwältigen lassen, das sagt unsere Mutter immer. Dir ist es gewiss auch schwer gefallen, dich mit dem Tod deines Gemahls abzufinden. Aber wir leben in schwierigen Zeiten, und beinahe jeder hat einen lieben Menschen
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