Verfuehrung Auf Hoher See
wurde sie wachsam und nahm sich zusammen. Also gut. Zum Pavillon. Warum nicht?
Aber wieso schlug Rion ihr ausgerechnet diesen Ort vor … wo er sie leidenschaftlich geküsst hatte und dann …
Verflixt! Wieder brachte er sie dazu, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Dabei wollte sie einfach nur sachlich und zweckorientiert mit ihm verhandeln und ihm ihre Vorschläge schmackhaft machen. Wenn das geschafft war, konnte sie gehen.
Als sie unerwartet stolperte, fing Rion sie auf. Selina wollte sich aus seinem Griff befreien, doch er zog sie an sich.
„Sachte, Selina“, warnte er sie. „Um Anna zu überzeugen, müssen wir uns einig sein. Wenn wir streiten, klappt das nicht.“
Da hatte er leider recht. Widerstrebend ging sie neben ihm her, während er verdächtig freundlich fortfuhr: „Eigentlich brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Dein Großvater hat dir seine fünf Prozent an der Moralis Corporation hinterlassen, was ein recht ansehnliches Einkommen darstellt. Erst heute habe ich erfahren, dass er sein Haus in Athen verkauft und die Villa hier mit Hypotheken belastet hat, nachdem er sein ganzes Vermögen verspielt hatte.“
Ungläubig sah sie ihn an. Seine Miene war ausdruckslos, doch Selina konnte sich seiner Ausstrahlung nur schwer entziehen. Vorsicht, warnte ihr Instinkt sie. Das war ihr einmal passiert. Nie wieder!
„Du magst von der Spielsucht meines Großvaters nichts geahnt haben, aber du wusstest, dass er am Tag unserer Verlobung sein Testament aufgesetzt und es seitdem nicht geändert hat.“ Es störte sie, dass Rion den Arm nicht von ihrer Taille nahm, während sie den alten Olivenpfad entlanggingen. „Ich bin nicht mehr achtzehn. Also versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen. Wie ich dich einschätze, hast du darauf bestanden, die Kontrolle über die Aktien meines Großvaters die gesamten zwölf Jahre über zu behalten. Das gehörte doch zu eurem Deal, als du mich geheiratet hast.“
Rion blieb stehen, ließ sie los und ballte die Hände zu Fäusten. Wie, zum Teufel, hatte Selina von dem Handel seines Vaters mit ihrem Großvater erfahren? Nur drei Menschen hatten davon gewusst. Er hatte geschwiegen. Sein Vater auch …
„Wer hat dir davon erzählt?“, fragte er scharf. Nur Mark Stakis traute er das zu. Er hatte den Mann nie gemocht. Der Alte war ein durchtriebener Teufel gewesen, aber seiner Enkelin zu eröffnen, dass er sie für seine Geschäfte missbraucht hatte, war grausam. Außerdem stimmte es nicht ganz.
Selina funkelte ihn an. „Bis zu unserer Eheschließung wusste ich nichts davon, Rion. Im Übrigen ist es unwichtig, von wem ich es erfahren habe. Mir genügt, dass du es nicht abstreitest“, fuhr sie fort. „Aber meinen Großvater vor unserer Heirat dazu zu bringen, dich zum alleinigen Treuhänder der Aktien zu machen, die ich erst mit dreißig erben soll, war ein bösartiger Schachzug“, hielt sie ihm aufgebracht vor. „Wie kann der Anwalt das für legal erklären? Wir sind seit Jahren geschieden! Und wieso ist er jetzt auf die Idee gekommen, dass wir uns gut verstehen? Was hast du ihm gesagt?“
Rion verzog keine Miene, nur um seinen Mund lag ein harter Zug.
„Wenn du nicht möchtest, dass alle Welt dich toben hört, schlage ich vor, wir gehen in den Pavillon“, erwiderte er und schob sie sanft, aber bestimmt hinein.
Wie erstarrt blieb Selina stehen und blickte sich um. Nichts hatte sich verändert. An der rückwärtigen Wand lagen dieselben blauen – inzwischen leicht verblichenen – Kuschelkissen auf dem Tagesbett, auf dem man sich während der Sommerhitze wunderbar ausruhen konnte. Das einzige andere Möbelstück im Raum war ein Holztisch, auf dem eine verwelkte Topfpflanze stand.
Der Pavillon war für ihre Großmutter errichtet worden, die sie nicht gekannt hatte. Von Anna hatte sie gehört, dass die arme Frau an Herzschwäche und in späteren Jahren an schwerer Arthritis gelitten hatte. Von hier hätte sie ihren Lieblingsblick auf die Bucht genossen. Drei Jahre vor ihrem Sohn und dessen Familie wäre sie gestorben, sodass ihr die schreckliche Tragödie erspart geblieben wäre …
Eigentlich ein trauriger, von Toten beherrschter Ort, dachte Selina.
Schweigend setzte Rion sich aufs Tagesbett und streifte sich Jackett und Krawatte ab. Er musste sich erst mit der Erkenntnis anfreunden, dass Selina von dem Deal mit ihrem Großvater wusste …
Das Verrückte war, dass er schon eine Woche nach ihrer ersten Begegnung praktisch alles getan hätte, um sie
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