Verfuehrung in bester Gesellschaft
Violet nicht mehr über die Countess of Fremont. In gewisser Weise bedauerte Violet ihren Ausbruch. Rule versuchte seine Unschuld in einem Mordfall zu beweisen. Wenn die Chance bestand, dass die Countess ihm dabei helfen konnte, dann blieb ihm nichts anderes übrig, als sie aufzusuchen.
Doch als der Abend sich dem Ende zuneigte, wusste sie immer noch nicht, wie sie sich verhalten würde, wenn er in ihr Bett kam.
Als sie sein Klopfen an der Tür hörte, zuckte sie zusammen.
Sie sah seine besorgte Miene und das Verlangen, das sie stets in seinen schönen Augen zu lesen schien.
„Weist du mich ab?“, fragte er und blieb in seinem dunkelblauen seidenen Hausmantel in der Tür stehen.
Als sie seine nackte Brust sah, das gelockte Haar, die Muskeln unter der dunklen, glatten Haut, erhellte sich ihr Blick. Sie begehrte ihn so sehr. Ihr Herz konnte ihn nicht zurückweisen.
„Nein.“
Er wirkte erleichtert und verlor etwas von seiner Anspannung. Was aber genau in ihm vorging, vermochte sie nicht zu erraten. Mit langen Schritten kam er zu ihr, trat ans Bett, bückte sich und küsste sie. Dann streifte er seinen Hausmantel ab und legte sich zu ihr. Violet sah, wie erregt er war.
Wie immer liebten sie sich wild und leidenschaftlich, doch diesmal hielt sich Violet ein wenig zurück. Sie liebte Rule abgöttisch, aber sie glaubte immer noch nicht, dass er ihr treu blieb. Zu wissen, dass er sich mit der schönen Countess treffen würde, weckte abermals ihr Misstrauen.
Als sie sich an ihn schmiegte und langsam einschlief, wusste sie, dass sie ihn dennoch unterstützen würde. Im Augenblick zählte nur, Rules Unschuld zu beweisen. Mit allem anderen würde sie sich befassen, sobald der Mordfall aufgeklärt war und Rule nicht länger unter Verdacht stand.
Rule kehrte in sein Kontor bei Griffin Manufacturing zurück. Am nächsten Tag wollte Violet ihn begleiten. An ihrem Wunsch, die Firma zu verkaufen, hatte sich auch nach dem Mord nichts geändert, ebenso wenig wie an ihrem Entschluss, weder an Montgomery noch an Burton Stanfield zu verkaufen.
Früher oder später würde sich ein anderer passender Käufer finden. In der Zwischenzeit musste sie die Firma leiten und es würde ihr, wie immer, gelingen.
An diesem Tag wollte sie einen Besuch machen. Rule hatte wie versprochen mit Annabelle Greer über den kleinen Billy Robin und die anderen Kinder gesprochen, die Simon Pratt entgegen dem Gesetz als Kaminkehrer arbeiten ließ.
Annabelle hatte sich bereit erklärt, ihnen zu helfen. Sie war für ihre Wohltätigkeitsarbeit sehr angesehen und der Bürgermeister persönlich unterstützte sie. Am Vortag hatten Mitarbeiter der zuständigen Behörden die Kinder aus Pratts verwahrlostem Haus geholt und in das Blue Haven Waisenhaus gebracht, das Annabelle förderte.
Violet freute sich darauf, die Kinder zu treffen und den kleinen Billy wiederzusehen. Als die Kutsche vor dem großen zweistöckigen Gebäude stoppte, das in einer freundlichen Straße unweit von Green Park stand, rutschte sie vor Aufregung ganz vorn auf die Sitzkante.
Die letzten Apriltage waren freundlich und warm und die Vordertür zum Haus stand offen. Als Violet mit Hilfe eines Dieners ausstieg, pressten sich mehrere junge Gesichter gegen die Zwischentür, um die Ankunft des Gastes zu beobachten. Darunter erkannte Violet den kleinen rothaarigen Jungen.
„Hallo Billy“, sagte sie lächelnd, als sie zur Tür hereintrat und sich bückte, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. „Ich bin Mrs Dewar. Erinnerst du dich an mich?“
Der kleine Junge nickte. „Ja. Sie sind zum Haus von Mr Pratt gekommen und haben nach Danny gesucht.“
„Das stimmt.“
In diesem Augenblick erschien eine breithüftige, madonnenhafte Frau mit graubraunem Haar.
„Kommen Sie herein, Mylady. Mein Name ist Eleanor Oldfield. Lady Annabelle hat mir geschrieben, dass Sie heute kommen werden, um die Kinder zu sehen.“
Violet trat aus dem strahlenden Sonnenschein ins Innere des Hauses. Als ihre Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, sah sie Billy im Kreis von fünf anderen Kindern seines Alters, zwei Mädchen und drei Jungen.
„Sind das die anderen Kinder, die für Simon Pratt gearbeitet haben?“
„Jawohl, Mylady.“ Mrs Oldfield schmunzelte. „Ich schwöre Ihnen, ich habe noch nie eine hungrigere Meute gesehen als diese hier.“
Mrs Oldfield sagte es sehr liebevoll und Violet roch den Duft eines Hackfleischeintopfs, der aus der Küche kam.
„Wir haben auch frisches Brot im Ofen“,
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