Verfuehrung
verschlampt aussieht. Baumelnde Bänder, schiefe Hüte, Schals, die auf dem Boden nachgeschleift werden. Es ist alles wirklich ganz entzückend, aber keine macht es mit solcher Eleganz wie Sophy.«
Julian mußte grinsen. »Nur deshalb, weil sie nicht daran arbeiten muß. Bei ihr ist das ganz natürlich.«
Fünfzehn Minuten später schlängelte Julian sich durch das Gedränge in Lady Dallimores Ballsaal und suchte Sophy. Daregate hatte recht, stellte er amüsiert fest. Bei den meisten jungen Frauen im Raum war etwas nicht in Ordnung mit ihrer Kleidung. Haarschmuck stak schief in den Locken, Bänder baumelten zu Boden, und Schals flatterten täuschend willkürlich um ihre Eigentümerinnen. Fast hätte er einen Fächer zertreten, der an einer langen Schnur vom Handgelenk eines Mädchens baumelte.
»Hallo, Ravenwood, seid Ihr auf der Suche nach Eurer Gräfin?«
Julian warf einen Blick über die Schulter und erkannte einen ältlichen Baron, mit dem er sich gelegentlich über die Kriegsberichte unterhielt. »Guten Abend, Tharp. Zufällig bin ich tatsächlich auf der Suche nach Lady Ravenwood. Irgendein Zeichen von ihr?«
»Zeichen von ihr sind überall, mein Junge. Schaut Euch doch nur um.« Der stämmige Baron zeigte in den überfüllten Ballsaal. »Man kann keinen Schritt machen, ohne über ein Band oder einen Schal oder irgend so einen Firlefanz zu stolpern. Hab vorhin selbst ein Schwätzchen mit Eurer Lady gemacht. Sie hat mir ein Rezept gegen meine Verdauungsschwierigkeiten gegeben. Ich sag’s nicht ungern, Ihr habt verdammtes Glück, daß Ihr die geheiratet habt. Sie wird dafür sorgen, daß Ihr steinalt werdet. Und Euch auch noch ein Dutzend Söhne schenken.«
Bei der letzten Bemerkung kniff Julian wütend den Mund zusammen. Er war sich nicht direkt sicher, daß Sophy ihm diese Söhne willig schenken würde. Er erinnerte sich sehr wohl daran, daß sie gesagt hatte, sie wollte nicht sofort Kinder haben. »Wo habt Ihr sie denn zuletzt gesehen, Tharp?«
»Sie hat mit Utteridge getanzt, glaube ich.« Tharps joviale Miene wurde plötzlich besorgt. »Wenn ich mir das recht überlege, Junge, ist das nicht der beste Umgang für sie. Ihr wißt doch, wie Utteridge ist. Ein gewissenloser Schürzenjäger. Da würde ich sofort den Riegel vorschieben.«
Julian wurde mit einem Mal flau in der Magengegend. Wie, zum Teufel, hatte es Utteridge geschafft, Sophy vorgestellt zu werden? Und, noch wichtiger, warum hatte er das getan? »Ich werde mich sofort um die Sache kümmern. Danke, Tharp.«
»War mir ein Vergnügen.« Die Miene des Barons klärte sich. »Dankt Eurer Gräfin noch mal für das Rezept, seid so gut. Werd’s gleich ausprobieren. Gott weiß, wie satt ich es habe, mich von Kartoffeln und Brot zu ernähren. Möchte mal wieder in ein anständiges Stück Rindfleisch beißen.«
»Ich werd’s ihr sagen.« Julian drehte sich um und machte sich auf die Suche nach Utteridge. Den Mann konnte er nicht entdecken, aber dafür Sophy. Sie schickte sich gerade an, in den Garten zu gehen, und Waycott folgte ihr dicht auf den Fersen.
Eines Tages, versprach sich Julian, würde er Waycott ein für alle Mal das Handwerk legen.
Der Garten war eine Pracht. Sophy hatte gehört, daß er Lord Dallimores ganzer Stolz war. Unter normalen Umständen hätte sie seinen Anblick im Mondlicht sicherlich sehr genossen. Es war nicht zu übersehen, wieviel Arbeit in den ordentlich geschnittenen Hecken, Terrassen und Blumenbeeten steckte.
Aber heute abend behinderten sie die üppigen Pflanzen auf ihrer Suche nach Lord Utteridge. Jedesmal, wenn sie um eine hohe Hecke bog, fand sie sich wieder in einer Sackgasse. Je weiter sie sich vom Haus entfernte, desto schwieriger wurde es, etwas in den Schatten zu erkennen. Zweimal stolperte sie über Pärchen, die offensichtlich den Ballsaal verlassen hatten, um allein zu sein.
Wie weit konnte sich Utteridge denn bloß entfernen, fragte sie sich irritiert. Der Garten war nicht so groß, daß man sich darin verirren konnte. Dann tauchte plötzlich die Frage auf, warum er überhaupt einen so langen Ausflug in den Garten machte.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Ein Mann mit Utteridges Charakter würde natürlich diesen verschwiegenen Garten für ein Schäferstündchen nützen. Vielleicht flüsterte er gerade jetzt irgendeinem naiven jungen Mädchen Versprechungen ins Ohr, die glaubte, sie wäre verliebt. Wenn er der Mann sein sollte, der Amelia verführt hatte, dann, so schwor sich Sophy,
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