Verfuehrung
kommen.«
Julian hob den Kopf. »Wovon redest du überhaupt?«
»Hast du denn nicht von den Briefen gehört, die Charlotte an ihre früheren Geliebten schickt?« sagte eine gelangweilte tiefe Stimme.
Julians Augenbrauen schossen in die Höhe, als der Neuankömmling sich lässig in den Stuhl gegenüber drapierte. »Was für Briefe sollen das denn sein, Daregate?«
Miles nickte. »Erzähl ihm von den Briefen.«
Gideon Xavier Daregate, einziger Neffe und ergo Erbe des zügellosen, unverheirateten Wüstlings Graf von Daregate, setzte sein ziemlich grausames Lächeln auf, was seinem kantigen Gesicht etwas von einem Raubvogel gab. Seine silbrig grauen, eiskalten Augen verstärkten diesen Eindruck noch. »Nun, die kleinen Briefchen, die die Featherstone per Boten allen potentiellen Opfern zustellen läßt. Wie es scheint, kann ein Mann arrangieren, daß sein Name nicht in den Memoiren erscheint.«
»Erpressung«, sagte Julian mit grimmiger Miene.
»Das kann man wohl sagen«, murmelte Daregate gelangweilt.
»Man zahlt Erpresser einfach nicht. Wenn man es tut, ermutigt man sie nur zu weiteren Forderungen.«
»Ich bin mir sicher, das haben sich auch Glastonbury und Plimpton gegenseitig gesagt«, sagte Daregate. »Und die Folge davon ist, daß nicht nur ihr Name in Charlottes Memoiren erwähnt ist, sondern sie auch noch schlecht dabei weggekommen sind. Offensichtlich war die Featherstone von ihren Künsten im Boudoir nicht sonderlich beeindruckt.«
Miles stöhnte. »Die Memoiren sind so detailliert?«
»Ich fürchte, ja«, sagte Daregate ungerührt. »Sie sind voll mit unwichtigen Einzelheiten, an die zu erinnern sich nur eine Frau die Mühe macht. Kleine, interessante Sachen, wie zum Beispiel, ob ein Mann es versäumt hat zu baden und frische Wäsche anzulegen, bevor er einen Besuch macht. Was ist denn los, Miles? Du warst doch nie einer von Charlottes Beschützern, oder?«
»Nein, aber Julian war es für kurze Zeit.« Miles grinste frech.
Julian schnitt eine Grimasse. »Gott steh mir bei, das ist doch schon so lange her. Ich bin überzeugt, Charlotte hat mich längst vergessen.«
»Zerbrich dir nicht den Kopf, Julian«, meinte Miles hilfsbereit, »mit ein bißchen Glück wird deine Frau nie etwas von den Memoiren hören.«
Julian nickte. Dafür würde er ganz sicher sorgen.
»Erzählt, Ravenwood«, unterbrach ihn Daregate, »wann werdet Ihr denn Eure neue Gräfin in die Gesellschaft einführen? Ihr wißt doch, daß alle schon vor Neugier platzen. Ihr könnt sie doch nicht ewig verstecken.«
»Die Gesellschaft hat doch, weiß Gott, mit den Featherstone Memoiren und mit Wellingtons Manövern in Spanien genug Stoff zum klatschen«, sagte Julian ruhig.
Thurgood und Daregate wollten beide protestieren, aber ein Blick in die eisigen Augen ihres Freundes ließ sie schlagartig verstummen.
»Ich glaube, ich könnte noch eine Flasche Wein vertragen«, sagte Daregate höflich. »Leistet ihr beide mir Gesellschaft?«
»Ja«, sagte Julian und legte die Zeitung beiseite. »Ich glaube, das werd ich.«
»Kommst du heute abend zu Lady Eastwells Soiree?« fragte Miles beiläufig. »Sollte interessant werden. Den Gerüchten zufolge hat Lord Eastwell heute einen von Charlottes Erpresserbriefen bekommen. Alle fragen sich, ob Lady Eastwell es schon weiß.«
»Ich habe großen Respekt vor Eastwell«, sagte Julian. »Ich habe ihn auf dem Kontinent unter Beschuß erlebt. Und Ihr auch, wenn ich’s recht bedenke, Daregate. Der Mann weiß, wie man dem Feind die Stirn zeigt. Da müßte er doch auch wissen, wie er mit seiner Frau fertig wird.«
Daregate grinste, humorlos wie immer. »Ach, kommt schon, Ravenwood, wir wissen beide, daß ein Kampf gegen Napoleon ein Kinderspiel ist im Vergleich zu einer Schlacht mit einer zornigen Frau.«
Miles nickte wissend, obwohl jeder wußte, daß er weder verheiratet war, noch bis jetzt in irgendwelche ernsten Affären verwickelt gewesen war. »Sehr weise von dir, deine Braut auf dem Land zu lassen, Ravenwood. Wirklich sehr weise. Da kann sie keinen Ärger machen.«
Genau das versuchte Julian sich schon die ganze Woche, seit seiner Ankunft in London, einzureden. Aber heute abend, wie an jedem Abend seit seiner Rückkehr, war er sich wieder nicht so sicher, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Tatsache war, Sophy fehlte ihm einfach. Es war bedauerlich, unerklärlich und verdammt lästig. Aber es war auch unbestreitbar. Es war idiotisch von ihm gewesen, sie einfach auf dem Land
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