Verfuehrung
Sache.
Madame,
morgen früh bei Tagesanbruch ist akzeptabel, Pistolen ebenfalls. Ich schlage Leighton Field vor, ein kurzes Stück außerhalb der Stadt, da es zu dieser Stunde menschenleer sein wird.
Bis zum Morgengrauen,
hochachtungsvoll, in Ehre C. F.
Bis es Zeit wurde zum Schlafengehen, waren Sophys Gefühle ein einziges Chaos. Sie war sich bewußt, daß Julian von ihrer Einsilbigkeit beim Abendessen verärgert war, aber sie war nicht imstande gewesen, eine belanglose Konversation zu führen. Als er sich in die Bibliothek zurückzog, hatte sie sich entschuldigt und war sofort in ihr Schlafzimmer gegangen.
In der Zuflucht ihres Schlafgemachs las sie die beängstigend kurze Mitteilung der Featherstone mehrmals durch und fragte sich, was sie da getan hatte. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Ihr Leben lag morgen in der Hand des Schicksals.
Wie in Trance verrichtete Sophy ihre Rituale vor dem Zubettgehen, wußte aber, daß sie heute nacht kein Auge zutun könnte. Nachdem Mary ihr eine gute Nacht gewünscht hatte, stellte sich Sophy ans Fenster und fragte sich, ob Julian vielleicht schon in wenigen Stunden ihre Beerdigung arrangieren würde.
Vielleicht würde sie auch nur verletzt werden, sagte sie sich, und blutrünstige Szenarios tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Vielleicht würde sie an einem schrecklichen Fieber lange dahinsiechen.
Oder vielleicht würde Charlotte Featherstone diejenige sein, die sterben müßte.
Bei dem Gedanken, ein anderes menschliches Wesen zu töten, wurde Sophy mit einem Mal schlecht. Sie schluckte mehrmals und fragte sich, ob ihre Nerven wohl durchhalten würden, bis sie der Ehre Genüge getan hatte. Sie wagte nicht, sich einen Beruhigungstrank zu brauen, aus Angst, es könnte ihre Reaktionen im Morgengrauen verlangsamen.
Sophy versuchte, sich Mut zu machen, indem sie beschloß, daß mit ein bißchen Glück sie oder Charlotte nur verwundet werden würden. Oder vielleicht würden sie beide das Ziel verfehlen und keiner verletzt werden. Das wäre sicher die eleganteste Lösung.
Angst jagte ihr Kälteschauer über den Rücken. Wie überlebten Männer diese gräßlichen Ängste vor Gefahr und Tod? fragte sie sich, während sie weiter im Zimmer auf und ab lief. Sie waren damit nicht nur am Abend vor einem Duell konfrontiert, sondern auch auf dem Schlachtfeld und auf See. Sophy erschauderte.
Sie fragte sich, ob Julian je diese gräßliche Warterei mitgemacht hatte, und dann fiel ihr die Geschichte ein, die sie gehört hatte, von einem Duell, das er wegen Elizabeths Ehre geführt hatte. Und es mußte Momente wie diesen gegeben haben, als er gezwungen war, die langen Stunden vor einer Schlacht zu erdulden. Aber vielleicht hatte er als Mann Nerven, die gegen diese Art Angst gefeit waren. Oder er hatte vielleicht gelernt, sie zu beherrschen.
Zum ersten Mal wurde Sophy klar, daß der männliche Ehrenkodex eine sehr harte, kühne und anspruchsvolle Sache war. Doch zumindest garantierte seine Einhaltung den Männern die Achtung ihrer Gleichgesinnten. Wenn auch sonst nichts dabei rauskam, so würde Julian doch zumindest gezwungen, seine Frau wenigstens ein bißchen zu respektieren.
Oder etwa nicht? Würde ein Mann eine Frau respektieren, die nach seinem Ehrenkodex lebte, oder würde er die ganze Idee als lächerlich empfinden?
Mit diesem Gedanken wandte Sophy sich vom Fenster ab. Ihr Blick richtete sich auf das kleine Schmuckkästchen auf ihrem Toilettentisch, und der schwarze Ring fiel ihr wieder ein.
Reue packte sie. Wenn sie morgen getötet würde, blieb keiner mehr übrig, der Amelia rächen konnte. Was war wichtiger, fragte sie sich, Amelia rächen oder dafür sorgen, daß Julians Liebesbriefe nicht gedruckt würden ?
Aber sie hatte eigentlich keine Wahl. Schon seit langem war Sophy klargeworden, daß ihre Gefühle für Julian wesentlich stärker waren als ihr Verlangen, den Verführer ihrer Schwester zu finden.
Entehrte sie aus Liebe zu Julian das Andenken ihrer Schwester?
Plötzlich war alles so entsetzlich kompliziert. Die Problematik der Situation war mit einem Mal so überwältigend, daß sich Sophy am liebsten versteckt hätte, bis ihre Welt wieder ins Lot gekommen war. Sie war so in Gedanken, daß sie gar nicht hörte, wie hinter ihr die Verbindungstür aufging.
»Sophy?«
»Julian.« Sie drehte sich rasch um. »Ich hab Euch nicht erwartet, Mylord.«
»Das tust du selten.« Er schlenderte langsam ins Zimmer, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Ist etwas nicht in
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