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Vergeben, nicht vergessen

Titel: Vergeben, nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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und sagte: »Ich möchte mich wieder hinsetzen, Emma. Mein Bein plagt mich, und der Gips ist sehr schwer. Aber es tut jetzt nicht mehr weh. Ich habe es mir beim Skifahren gebrochen. Es war ein recht hübscher Sturz eine vier Meter hohe Klippe herunter. Alle haben mir beruhigend versichert, wie elegant ich gefallen sei. Fährst du auch gern Ski?«
    »Meine Mama ja. Ich lerne noch.« Emma rührte sich nicht und stand weiter zwischen Ramsey und Molly.
    »Du hattest erst drei Stunden, Liebling«, sagte Molly. »Du wirst noch richtig gut werden. Vielleicht hast du ja Glück und segelst nicht von einer Klippe herunter, aber solche Dinge passieren. Weißt du noch, als ich mir am rechten Knie die Bänder gezerrt hatte?«
    »Ja, Mama. Du musstest zur Krankengymnastik gehen.«
    »Das muss ich auch«, schaltete sich Dr. Loo ein. »Ich werde wieder Ski fahren, aber erst in einem Jahr. Es fehlt mir jetzt schon. Emma, komm doch mal hier herüber und setz dich zu mir.«
    Emma machte keine Bewegung, sondern umklammerte Ramseys Hand noch fester.
    »Dr. Loo, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wie fänden Sie es, wenn Emma eine Weile lang auf meinem Schoß sitzen könnte?«, bemerkte Ramsey beiläufig.
    »Aber sicher doch. Ich habe mir sagen lassen, dass du ein sehr kluges Mädchen bist, Emma. Deine Mama hat mir erzählt, dass du diesem bösen Mann ganz allein entkommen bist und dass du dir das alles ganz allein ausgedacht hast.«
    Emma war zur Säule erstarrt. Ramsey hörte noch nicht einmal mehr ihren Atem. Doch er zwang sich, schweigend abzuwarten. Er hatte von der Psychologin ein etwas sanfteres Vorgehen erwartet, dass sie Emma langsam zu dem Vorfall hinführen und sich nicht gleich Hals über Kopf darauf stürzen würde.
    »Wie hast du denn herausbekommen, wie du fliehen konntest?«, erkundigte sich Dr. Loo.
    Emma benetzte sich die Lippen. Es war die erste Bewegung, die sie bisher gemacht hatte.
    Ramsey hätte sie so gern zu sich herangezogen, sie in die Arme genommen und beschützt, doch er wusste, dass es keinen Schutz gab, solange die im Inneren geschlagene Wunde noch tief und offen war. Er blickte zu Molly hinüber. Ihr Gesicht war blass und gefasst. Vergeblich bemühte sie sich, einen entspannten Eindruck zu machen. Ihre Hände waren auf den Armlehnen zu Fäusten zusammengeballt.
    Mit kaum hörbarer, nachdenklicher Stimme sagte Emma: »Ich habe gegrübelt und gegrübelt.«
    Ramsey hatte das Gefühl, man hätte ihm einen Schlag in den Magen versetzt. Emmas Stimme war nur noch ein Flüstern. Es überraschte ihn, dass sie überhaupt jemand hatte verstehen können.
    Dr. Loo wartete weiter ab, aber Emma sagte nichts mehr. Dann fragte Dr. Loo: »Du hast sehr gut nachgedacht. Wie lange hast du darüber nachgegrübelt?«
    »Den ganzen Tag. Aber ich wusste nicht, wie ich die Fesseln von meinen Händen abbekommen sollte, und dann hat er es einmal vergessen. Er hat es einfach vergessen und ist nach draußen gegangen, um eine zu rauchen.«
    »Und was hast du dann gemacht?«
    Emma drückte sich so fest gegen Ramsey, dass er sich fragte, ob er nicht eingreifen sollte. Er wollte gerade den Mund öffnen, als Emma mit derselben flüsternden Stimme sagte: »Ich bin vom Bett gehüpft. Es war richtig dreckig. Ich wollte aus dem Fenster springen, aber das hätte er gleich gemerkt. Also habe ich ein Kopfkissen unter die Bettdecke gestopft. Dann bin ich aus dem Fenster gestiegen. Es war gleich über dem Spülstein. Ich hatte Angst, dass ich hinfallen würde, aber ich bin nicht gefallen.«
    »Warst du barfuß?«
    Emma dachte nach. »Nein, ich wusste ja, dass ich rennen musste, also habe ich mir meine Turnschuhe angezogen. Ich habe sie mir erst übergezogen, nachdem ich gesprungen war.«
    »Hat der Fall dir wehgetan?«
    Emma nickte. »Ja, aber ich habe keine Geräusche gemacht. Dann hätte er mich gehört, und mich wieder eingefangen.«
    »Hat er viel getrunken?«
    »Ich habe vier leere Flaschen gezählt. Ich hatte nichts zu tun, also habe ich sie gezählt. Sie waren ganz schön groß.«
    »Wie lange hat er denn gebraucht, um die vier Flaschen zu leeren?«
    »Fünf Tage.«
    »Hat es so lange gedauert, bis du ihm entfliehen konntest?«
    »Ja«, sagte Emma mit etwas deutlicherer Stimme.
    »Gab es bestimmte Zeiten am Tag oder in der Nacht, wenn er aus den Flaschen getrunken hat?«
    Er war laut, dieser wimmernde Schrei, der Ramsey bis ins Mark fuhr. Sie zitterte, rang nach Luft und machte diese schrecklichen Geräusche. »Nicht doch, nicht doch,

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