Vergeltung
Kehle durchgeschnitten hatte, hatte er mit der sterbenden Frau Geschlechtsverkehr.« Franklin klang, als falle es ihm schwer, sich zwischen Zorn und Sarkasmus zu entscheiden. »Können Sie mir sagen, in welchem Sinn es dabei nicht um Sex gehen sollte?«
Tony rieb sich den Nasenrücken. »Sagen wir mal so. Michael und Lucy sind seit zehn Jahren oder so zusammen. Wenn Sie versuchen wollten, sie beim Geschlechtsakt zu erwischen, damit Sie sich daran aufgeilen und sie dann töten können, würden Sie dann einen Freitag nach dem Mittagessen wählen?« Jetzt war Tony an der Reihe, sarkastisch zu sein. »Würden Sie das für die voraussichtlichste Zeit für wilden Sex halten, Chief Inspector? Ist das hier so üblich?«
Franklin schaute finster. »Wenn Sie es so ausdrücken …«
Tony zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, er hatte einfach Glück. Er kam hierher, um sie umzubringen, und es erwies sich als viel leichter als erwartet. Was den Sex betrifft: Er war ein Dutzend Jahre im Gefängnis. Lucy war eine attraktive Frau. Selbst noch im Tod. Und er drehte sie um, damit er nicht ihr Gesicht sehen musste.« Er blickte zu Boden. »Und das anschauen musste, was er mit ihr gemacht hatte.«
»Woher wissen Sie, dass er sie umgedreht hat? Sie hätte ja schon vorher auf dem Bauch liegen können.«
»Das Blut. Wenn sie auf dem Bauch gelegen hätte, hätte das Blut nicht so weit zur Seite und nach oben spritzen können.«
»Plötzlich sind Sie nicht nur Seelenklempner, sondern auch ein Spezialist für Blutspritzer.« Franklin schüttelte den Kopf.
»Nein. Aber ich habe im Lauf der Zeit einige Tatorte gesehen.« Tony wandte sich ab. »Machen Sie, was Sie wollen. Es geht nicht um Sex.«
»Worum geht es dann?«
Tony blinzelte heftig, überrascht, dass ihm die Tränen kamen. »Es geht um Rache. Willkommen in der wunderbaren Welt des Jacko Vance, Chief Inspector.«
Franklin schien irritiert. »Sie sind sich Ihrer Sache ja verdammt sicher, Doc.«
»Wer hat sie gefunden?«
»Wir bekamen einen anonymen Anruf aus einer Telefonzelle in einem Dorf etwa fünfzehn Autominuten von hier. Der Anrufer war ein Mann ohne bestimmten Akzent. Ein Streifenwagen wurde losgeschickt. Die Tür war offen, und die Jungs gingen rein.« Mitfühlend zog er die Mundwinkel herunter. »Es war das erste Mal für die beiden. Ich glaube, heute Nacht werden sie nicht schlafen können. Sagt Ihnen das etwas?«
»Es ist Vance. Der eine Mord, den er neben den Serienmorden verübt hat, hatte ebenfalls so ein spektakuläres Element. Was er damals getan hat, tut er jetzt wieder. Er schickt eine Botschaft. Sie ist an eine spezifische Gruppe von Leuten gerichtet, genau wie letztes Mal. Und er will sicher sein, dass die Botschaft klar und deutlich ankommt. Er hat Ihnen den Hinweis gegeben, sobald er vom Tatort verschwunden war, weil alles noch frisch sein sollte, wenn Sie kämen. Er wollte, dass Carol Jordan das ganze Grauen sah, alles, was er den Menschen angetan hatte, die ihr lieb und teuer waren.« Tony spürte die Verbitterung wie einen Geschmack auf der Zunge. Er war so langsam gewesen, so dumm.
Franklin schien nicht überzeugt. »Glauben Sie nicht, dass Sie die Sache hochspielen und sich ein bisschen zu wichtig nehmen? Vielleicht geht es ja gar nicht um Sie und DCI Jordan. Vielleicht ist es einfach irgendein Psychopath. Oder vielleicht hat es etwas mit Lucy Bannerman zu tun. Sie war Strafverteidigerin. Das ist ein Beruf, in dem man ziemlich oft jemanden verärgert.« Sein Dialekt wurde ausgeprägter, als er seinen Worten mehr Gewicht verleihen wollte.
»So sehr, dass dies hier nach einer vernünftigen Reaktion aussieht?« Tony wies mit erhobenem Daumen auf den Tatort.
»Sie sind der Psychologe. Die Menschen zeigen nicht immer … wie nennt ihr Fachleute das? ›Eine angemessene Reaktion‹? Jemand, den sie hätte freiboxen sollen, kommt in Haft …« Der DCI breitete die Hände aus. »Er organisiert es vom Gefängnis aus. Oder irgendein Penner hier draußen meint, die Anwältin um die Ecke zu bringen sei eine Möglichkeit, Punkte zu sammeln.« Er ging auf den Ausgang des Zeltes zu und griff nach einer weiteren Zigarette. Tony folgte ihm nach draußen, wo die nahen Berge hinter einem leichten Regenschleier lagen. »Eine andere Möglichkeit ist, dass sie irgendeinen Dreckskerl freibekommen hat – einen Kinderschänder oder Vergewaltiger oder sonst einen, der die Gemüter erhitzt –, und so ein Typ, der das Gesetz à la Charles Bronson selbst in die Hand
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