Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
Klamotten gekippt hatte. Ich hatte zwar keinen blassen Schimmer, was für eine Überraschung Henry im Sinn hatte, aber schon der Gedanke daran zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht.
Das verging mir allerdings sofort, als ich in die Küche kam. Dort hetzte meine Mutter genervt hin und her – ihr normalerweise tadellos sitzender Haarknoten hatte sich halb aufgelöst. Lauter als nötig klapperte sie mit Töpfen und Pfannen. Instinktiv wich ich zurück und erinnerte mich schlagartig, weshalb ich es früher nie toll fand, wenn wir hier Gäste hatten – der Platzmangel in der Küche ließ offensichtlich den Stresspegel meiner Mutter exponentiell ansteigen. Murphy hatte das anscheinend auch schon mitgekriegt, denn er kam mit hängenden Ohren angeschlichen und schmiegte sich an meine Beine. Als ich mich gerade zu ihm herunterbeugte, bemerkte mich meine Mutter.
»Na endlich!«, fuhr sie mich an und strich eine lose Haarsträhne zurück. Sie war ganz verschwitzt und hatte rot geränderte Augen. »Hast du den Mais?«
»Alles, was sie noch dahatten«, antwortete ich und hielt die Tüte von Hensons hoch, ging aber nicht zu ihr in die Küche hinein. »Ich schäle ihn draußen, ja?«
»Du musst noch den Tisch decken«, sagte meine Mutter, die meine Antwort entweder nicht mitbekommen hatte oder bewusst überhörte. »Und dann wäre ich dir ausgesprochen dankbar, wenn du mal den ganzen Kram hier wegräumen könntest. Ich weiß nicht mal, wie viele Hamburger ich machen soll. Warrens Freundin kommt ja sicher auch, obwohl er es angeblich nicht so genau weiß …«
»Oh«, sagte ich leise und bereute sofort, auch noch meine Kollegen eingeladen zu haben. Aber eigentlich sollte es doch bloß eine Grillparty werden – keine Ahnung, wieso meine Mutter deswegen derart gestresst war. »Äh, also ich hab noch ein paar Leute vom Imbiss eingeladen. Drei Mann zusätzlich könnten es also noch werden.«
Meine Mutter knallte den Topf, den sie gerade in der Hand hatte, auf den Tisch und sah mich so wutentbrannt an, dass ich mir schlagartig Warren oder Gelsey herwünschte, damit sich der mütterliche Unmut gleichmäßig auf uns verteilte. Eigentlich wurde sie nur selten wütend, aber wenn es einmal so weit war, dann entlud sich auf einen Schlag sämtlicher angestauter Ärger. Und diesmal war ich leider das alleinige Opfer. »Meine Güte, Taylor«, fauchte sie. »Hättest du mich vielleicht mal fragen können? Konntest du dir nicht denken, was das für Umstände macht? Warum hast du es denn nicht wenigstens vorher mit mir besprochen?«
»Tut mir leid«, entgegnete ich und schob mich rückwärts aus der Küche. Wie immer, wenn mich jemand zur Rede stellte, setzte mein Fluchtinstinkt ein. »Ich hatte nicht gedacht, dass …«
»Nein«, unterbrach sie mich, nahm einen weiteren Topf vom Herd und knallte ihn auf den Tisch. »Überhaupt nichts hast du gedacht. Denn sonst wärst du auch mal auf die Idee gekommen, dass sich nicht alles nur um dich dreht.«
Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Am liebsten hätte ich die Zeit um fünf Minuten zurückgedreht, als ich auf meinem Fahrrad saß und alles noch okay war. »Entschuldige«, murmelte ich heiser. Weil ich auf gar keinen Fall vor meiner Mutter losheulen wollte, nahm ich die Tüte mit dem Mais und sagte: »Ich fang mal an zu schälen.« Hastig verdrückte ich mich vor die Haustür. Dort blieb mein Blick sehnsüchtig an meinem Fahrrad hängen. Aber wenn ich jetzt abhaute, würde ich alles nur noch schlimmer machen. Außerdem wusste ich ja gar nicht wohin.
Ich setzte mich auf den erstbesten Stuhl in unserer Eingangsveranda und nahm mit zitternden Händen den ersten Maiskolben zur Hand. Als ich die Blätter davon löste, rollte mir die erste Träne über die Wange. Mein Herz schlug mir immer noch bis zum Hals, und aus irgendeinem Grund war ich jetzt noch aufgewühlter als vorhin bei der Strafpredigt meiner Mutter. Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Augen, atmete mühsam durch und machte mich ans Entblättern der Maiskolben.
»Hallo.« Neben mir tauchten ein paar Füße auf, perfekt zur ersten Position arrangiert. Ich schaute an der Person hoch und sah meine Mutter, die sich auf die Lippe biss. Sie setzte sichauf den kleinen Tisch zwischen den beiden Stühlen und beugte sich zu mir. »Entschuldige, mein Schatz. Das war nicht fair von mir.«
»Also, ich«, begann ich und musste erst mal tief Luft holen, weil ich schon wieder kurz davor war, in Tränen auszubrechen.
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