Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
Energisch zog ich an einem Maisblatt und ließ es in die zu meinen Füßen stehende Tüte fallen. »Tut mir leid, dass ich Leute eingeladen habe. Ich dachte, das wär kein Problem. Ich kann sie anrufen und ihnen absagen.«
Aber Mom schüttelte den Kopf. »Ist schon okay. Das Problem ist nur …« Seufzend sah sie auf die Straße hinaus. Zwei Leute mit einem Golden Retriever gingen vorbei und winkten uns zu. Meine Mutter grüßte zurück und schaute dann wieder zu mir. »Ich musste nur den ganzen Tag daran denken, dass dein Vater diesen Feiertag zum letzten Mal erlebt«, sagte sie leise, was mir nicht im Mindesten half, meine Tränen zu unterdrücken. Ich presste die Lippen aufeinander. »Ich wollte doch nur, dass alles perfekt ist«, erklärte sie. Als ich sie ansah, bemerkte ich zu meiner großen Bestürzung, dass auch sie Tränen in den Augen hatte, die jeden Moment losfließen konnten.
Und das fand ich offen gesagt noch bedrohlicher als die Strafpredigt. Meine Mutter so traurig, verletzlich und voller Angst zu sehen, war für mich einfach zu viel, sodass ich mir hilflos den nächsten Maiskolben nahm und mich bemühte, sie nicht anzuschauen.
»Es gibt nichts Schlimmeres als verdorbene Feiertage«, fuhr sie fort, klang jetzt aber nicht mehr ganz so tränenerstickt und ich holte vorsichtig Luft.
»Ich weiß«, sagte ich, ohne nachzudenken. Als meine Mutter nichts erwiderte, schaute ich sie an und sagte: »Mein Geburtstag?«, bereute es jedoch im nächsten Moment, da sie das Gesicht verzog und aussah, als wollte sie nun doch gleich weinen. »Sorry«, entschuldigte ich mich hastig. »Das wollte ich nicht, Mom. Bitte nicht …«
Meine Mutter schüttelte den Kopf und schaute weg. Murphy kam vorsichtig auf die Veranda getapst. Vielleicht hatte er etwas Mut geschöpft, weil wir wieder in normaler Lautstärke miteinander sprachen. Erstaunt beobachtete ich, dass meine Mutter den Hund auf den Arm nahm und kurz die Wange an sein drahtiges Fell schmiegte. »Ich dachte, du magst ihn gar nicht«, sagte ich.
Mom lächelte und setzte den Hund auf ihren Schoß. »So langsam wächst er mir ans Herz«, entgegnete sie und streichelte ihm über den Kopf. Schweigend saßen wir ein Weilchen da. Als ich einen Maiskolben in die Tüte fallen ließ und einen neuen herausholte, schüttelte Mom den Kopf und meinte: »Lass erst mal gut sein. Den Rest können Warren und Gelsey machen, wenn sie nach Hause kommen.« Überrascht legte ich den Maiskolben zurück in die Tüte. Da beugte sich meine Mom zu mir und flüsterte: »Tut mir leid mit deinem Geburtstag. Ich versprech dir, dass wir das nachholen.«
»Ach, lass mal«, antwortete ich und meinte es ernst. Obwohl mich die Sache mit meinem Geburtstag am Anfang ziemlich traurig gemacht hatte, war inzwischen so viel passiert, dass er jetzt nicht mehr wichtig war. »Und ich verspreche dir, dass es heute ein toller Abend wird. Wir machen es richtig schön für Dad.« Sie schaute mir fest in die Augen, und ich lächelte sie unsicher an. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sie zu trösten und aufzumuntern, wo es doch mein ganzes Leben lang immer umgekehrt gewesen war.
»Das hoffe ich«, sagte sie leise, beugte sich noch ein bisschen näher zu mir und strich mir erst übers Haar und massierte mir dann sanft kreisend den Rücken, so wie sie es früher oft gemacht hatte. Unser Streit von vorhin war jetzt nicht mehr wichtig. Von mir selber überrascht lehnte ich mich nach einer Weile an meine Mutter und legte den Kopf auf ihre Schulter. Das hatte ich das letzte Mal gemacht, als ich noch sehr klein war und ihre Schulter mir viel größer vorkam – so groß, als ob sie nicht nur mich, sondern die ganze Welt halten könnte. Als ich kurz die Augen schloss und sie mir den Kopf streichelte, hatte ich fast das Gefühl, dass es immer noch so sein könnte.
Trotz der stressigen Vorbereitungen wurde die Grillparty wunderbar. Gelsey und ich hatten überall im Garten Citronellakerzen aufgestellt (Gelsey war nicht davon abzubringen gewesen, sich dabei mit grands jetés fortzubewegen). Dad stand am Grill und versorgte uns mit reichlich Cheeseburgern und Würstchen. Dabei trug er gebügelte Khakihosen und ein Polohemd, das viel zu groß an ihm aussah.
Da Henry und sein Vater in der Bäckerei noch mit den Vorbereitungen für den nächsten Tag beschäftigt waren, hatte Mom auch Davy eingeladen, und die Babysitterin bekam an diesem Abend frei. Die Gäste waren insgesamt eine ziemlich bunte Mischung, aber alle kamen gut
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