Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
Fahrrad. »Ich werd wohl laufen. Trotzdem danke, dass du gekommen bist, Taylor.« Sie sah mich mit einer Miene an, die höchstwahrscheinlich ein Lächeln darstellen sollte, dann machte sie kehrt und setzte sich leicht wankend in Bewegung.
Nach kurzem Nachdenken wendete ich mein Fahrrad und holte sie ein. Egal, wie sicher Lake Phoenix auch sein mochte, eine derart beschwipste Lucy wollte ich auf keinen Fall alleine nach Hause gehen lassen. Ganz abgesehen davon, dass sie so aussah, als ob sie imstande war, auf halber Strecke aufzugeben und unter dem erstbesten Baum ein Nickerchen zu machen. »Ich bring dich nach Hause«, sagte ich, stieg vom Rad und schob es neben ihr her.
»Musst du aber nicht«, sagte sie, gerade als sie über einen Stein am Straßenrand stolperte und direkt in mein Fahrrad taumelte. Danach protestierte sie nicht weiter. Mit dem Rad zwischen uns machten wir uns auf den Weg. Schweigend liefen wir nebeneinander her. Nur die Zikaden und der knirschende Kies unter unseren Füßen waren zu hören.
Nach einer Weile sah ich zu ihr hinüber und fragte: »Wie sieht’s aus, willst du drüber reden?«
Da blieb Lucy mit einem Ruck stehen, wandte sich zu mir, und ich hielt ebenfalls an. »Reden«, wiederholte sie. »Mit dir.«
Mir schoss die Röte ins Gesicht. Ich schüttelte den Kopf und schob schnell mein Rad weiter, damit es nicht so auffiel. »Schon okay«, murmelte ich. »Vergiss es.«
Lucy nahm wieder meinen Schritt auf. Allmählich wurde das Schweigen immer unbehaglicher. Insgeheim bedauerte ich, nicht tatsächlich mit dem Auto gekommen zu sein. In einem Auto gab es genug Ablenkung. Man konnte zum Beispiel das Radio aufdrehen und so tun, als ob das alles gar nicht passierte.
»Danke für’s Angebot«, sagte Lucy nach einer Weile. Es klang halb aufrichtig und halb ironisch. »Aber es ist ja nicht gerade so, dass wir noch befreundet wären, Taylor.«
»Das weiß ich.« Ich schaute auf mein Rad und versuchte mich darauf zu konzentrieren, es in einer schnurgeraden Linie zu schieben und den Kloß zu ignorieren, der sich in meinem Hals gerade bildete.
»Und wer ist schuld daran?«, fragte Lucy. Da ich die Antwort kannte und sie, wie ich annahm, auch, sagte ich nichts, sondern umfasste nur den Lenker fester. »Du hättest nicht einfach so abhauen dürfen«, redete Lucy weiter. »Ohne irgendeine Erklärung. Das war ’ne ziemlich beschissene Nummer.«
»Denkst du, das weiß ich nicht?«, fuhr ich sie beinahe an, obwohl ich selbst überrascht davon war. Ich schaute kurz zu ihr hin und sah, dass sie ebenfalls erstaunt war. »Glaubst du, das tut mir nicht leid?«
»Tja, keine Ahnung«, sagte sie und klang gereizt. »Ist ja nicht so, dass du dich mal entschuldigt hättest oder so was.«
Sie hatte natürlich recht. Ich hatte es zwar versucht, aber eben nur halbherzig. Genauso wie bei Henry. Und meinen fehlenden Mut hatte ich immer nur auf die Umstände geschoben, die ein paar Gelegenheiten zunichtegemacht hatten. Ich holte tief Luft und blieb mit meinem Fahrrad stehen. Wenn ich etwas ändern wollte, konnte ich nicht noch mehr Gelegenheiten verstreichen lassen. Also beschloss ich, diese hier zu nutzen, jetzt, mitten auf der Straße, wo das Mondlicht über uns strich und unsere Schatten auf die Fahrbahn warf. »Lucy«, sagte ich und sah ihr offen in die Augen, »es tut mir wirklich, wirklich leid.«
Einen Moment lang schaute sie mich an und dann nickte sie. »Okay«, sagte sie, ging weiter und schüttete sich hochkonzentriert eine neue Portion Skittles in die Hand, wobei sie leicht in Richtung Fahrbahn schwankte.
»Okay?«, fragte ich. Halb rannte ich neben meinem Rad her, um sie wieder einzuholen. »Das ist alles?«
»Was soll ich denn sagen?« Sie gähnte und hielt sich die Hand vor den Mund. »Ich nehme deine Entschuldigung an.«
»Danke«, sagte ich, ein bisschen verblüfft, dass das so einfach gewesen war. Doch während wir weiterliefen begriff ich, dasswir dadurch nicht automatisch wieder Freundinnen waren. Sie mochte meine reichlich verspätete Entschuldigung angenommen haben, aber das hieß nicht zwangsläufig, dass sie mir auch verziehen hatte.
»Tut mir auch leid«, fügte sie nach einer Weile hinzu. Verwundert sah ich sie an und sie zuckte die Schultern. »Ich meine, dass ich bei der Arbeit total die Zicke zu dir war.«
»Na ja, nicht total«, versuchte ich höflich zu sein, dochich hörte, dass es nicht überzeugend klang. Lucy schaute michan, und wir beide prusteten los vor Lachen. Für
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