Vergissmichnicht
Reporter. Wolfgang würde die Wahl gewinnen. Alles würde gut werden.
Stolz lächelte sie ihrem Mann zu, als er den Schlussapplaus entgegennahm. Sie lächelte, als er die Stufen in den Zuschauerraum hinabstieg, sie lächelte, als er sich neben sie setzte. Dass er sie die ganze Zeit über nicht ein einziges Mal ansah, ignorierte sie stoisch. Ihr Mann sah sie nie an, das war nichts Besonderes. Doch wenn er endlich Oberbürgermeister wäre, dann würden zumindest alle anderen sie ansehen. Als Frau Oberbürgermeister. Dann wäre sie endlich auch jemand. Strahlend erhob sie sich, als der Chefredakteur des Südkurier den offiziellen Teil beschloss und zum Sektempfang im Foyer einlud. An der Seite ihres Gatten schritt sie siegesgewiss von Gesprächspartner zu Gesprächspartner, parlierte, machte Komplimente und sonnte sich in der allgemeinen Aufmerksamkeit.
Ebenso wie ihrem Mann entging ihr dabei völlig, dass zwei Menschen im Saal sie ständig beobachteten. Sie hatten wie sie in der ersten Reihe gesessen und kaum je einen Blick von den Grubers gewendet. Die beiden waren Ole Strobehn und Alexandra Tuleit.
»Lass uns hier abhauen«, flüsterte Ole Alexandra zu. »Ich glaube, hier passiert nicht mehr viel.«
»Gute Idee«, wisperte Alexandra zurück. »Ich hole nur noch schnell meine Jacke.«
Wenig später saßen sie in Oles Auto und fuhren über die Rheinbrücke stadtauswärts in Richtung Fähre Konstanz-Meersburg. Sie hätten auch um den See herumfahren können, das hätte nur wenig länger gedauert. Aber Alexandra freute sich darüber, dass Ole die Variante der Fährfahrt gewählt hatte. Es war romantischer. »Die Gruber ist eine komische Frau, findest du nicht auch?«, fragte Ole und warf ihr einen raschen Seitenblick zu.
»Sie hat die ganze Zeit gegrinst wie ein Honigkuchenpferd. Aber dazu hatte sie ja auch allen Grund. Schließlich wäre ihr Göttergatte heute Abend fast nicht da oben gestanden, sondern hätte im Knast gesessen. Insofern fand ich ihr Verhalten nicht komisch.«
»Mit dieser Frau stimmt etwas nicht«, beharrte Ole. »Als sie zu mir ins Revier kam, war sie erst total schüchtern. Dann sprudelte regelrecht glühender Hass aus ihr heraus, als sie gegen diese Putzfrau wetterte, und heute Abend war sie die perfekte, strahlende Gattin.«
Ole lenkte seinen alten Mercedes auf die Fähre und kurbelte das Fenster runter, um die Überfahrt zu bezahlen.
»10,50 Euro«, sagte der Ticketverkäufer.
Ole kramte seinen Geldbeutel aus der hinteren Hosentasche, reichte dem Mann einen Zwanziger und nahm das Wechselgeld entgegen.
»Willst du sitzen bleiben oder aussteigen?«, fragte er, nachdem er seinen Geldbeutel wieder verstaut hatte.
»Lieber sitzen bleiben, wenn du nichts dagegen hast«, sagte Alexandra. »Dann können wir ungestört noch ein bisschen reden.«
Dass sie es einfach genoss, neben ihm in dem engen Auto zu sitzen, verschwieg sie ihm.
»Glaubst du denn wirklich, dass diese Jolanda es war?«, forschte Alexandra und löste den Sicherheitsgurt, um sich ihm besser zuwenden zu können.
»Schwer zu sagen«, bekannte Ole und starrte auf den nächtlichen See. »Wenn ich das immer so genau wüsste, hätte ich ein extrem entspanntes Leben. Die Beweise sprechen eindeutig gegen sie, die Beweislast gegen sie ist hundertmal höher als die gegen Gruber. Und du hast ja das Parfüm eindeutig identifiziert.«
»Ja«, bekräftigte Alexandra. »Ich fürchte, diesen Geruch bekomme ich nicht mehr so schnell aus der Nase. Aber ganz ehrlich, Ole. Dieses Parfüm gibt es in jedem Kaufhaus. Nachdem ich wusste, wie es heißt, bin ich heute mal auf Tour gegangen. Es steht wirklich in jeder Drogerie.«
»Ja, schon, aber die Kombination ist doch merkwürdig, oder?«, meinte Ole und hakte noch mal nach: »Und du bist sicher, dass es dieser Duft war?«
»Absolut«, versicherte Alexandra.
Die Fähre legte am Meersburger Ufer an. »Sollen wir noch einen kleinen Spaziergang machen?«, fragte Ole.
Alexandras Herz begann wild zu klopfen, die Nacht war sanft und verheißungsvoll, ein einziges stummes Versprechen. »Gern«, sagte sie leise und Ole lenkte den Wagen auf den großen Unterstadt-Parkplatz. Sie gingen durch die Stadt in Richtung Therme, immer weiter gen Osten. Gänse schnatterten am Ufer. Ole und Alexandra schwiegen und in dem Schweigen lag zu viel, was keiner der beiden auszusprechen wagte, als dass es hätte entspannt sein können. »Schau mal, wie schön die Lichter auf der anderen Seeseite leuchten«, unterbrach
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