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Vergissmichnicht

Vergissmichnicht

Titel: Vergissmichnicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Maria Bast
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hatte.
    Andreas, der am Tisch gesessen und die Konstanzer Zeitung vom Samstag gelesen hatte, blickte auf. »Alles klar, Liebes?«, fragte er, verwundert und zugleich beunruhigt über die plötzliche Aktivität seiner Frau.
    Stefanie lächelte schwach und stand auf. Ihre Beine waren wackelig. Es fühlte sich an, als würde sie auf einem weichen Untergrund gehen, als sie das Zimmer durchquerte und sich zu ihrem Mann an den Tisch gesellte. »Ja, es geht mir ein bisschen besser«, sagte sie.
    Sie setzte sich zu ihm. »Was Neues in der Zeitung wegen dem Fall?«, wollte sie wissen.
    »Nein, der Lokalteil ist voll mit der Bürgermeisterwahl, die heute stattfindet.«
    Obwohl sie in Villingen-Schwenningen wohnten, verfolgte er den Wahlkampf in Konstanz mit Interesse. Er arbeitete dort als Architekt und musste immer wieder Bauanträge für Kunden einreichen. Deshalb interessierte es ihn, wer künftig das Zepter in Konstanz in der Hand halten würde.
    »Und? Wer gewinnt?«, fragte Stefanie ohne echtes Interesse. Es war mehr der Versuch, sich langsam wieder auf das Feld der normalen Kommunikation zu begeben. Sie starrte auf die Zeitungsseiten, ohne sie wirklich wahrzunehmen.
    »Schwer zu sagen«, erwiderte Andreas, zog die Zeitung zu sich heran und betrachtete die Porträtbilder der drei Kandidaten. »Ich schätze mal, der Gruber macht das Rennen. Er kam am überzeugendsten rüber.«
    »Zeig mal her.« Stefanie langte über den Tisch, drehte die Zeitung zu sich um und betrachtete Grubers Gesicht. Attraktiv, markant und dennoch fein geschnitten. »Irgendwoher kenne ich ihn«, sagte sie nachdenklich. »Er kommt mir merkwürdig vertraut vor.«
    »Das geht mir auch so«, bestätigte Andreas und starrte auf Grubers Konterfei, das nun aus seiner Sicht auf dem Kopf stand. »Ich habe das Gefühl, als sei ich ihm schon mal begegnet, obwohl das nicht der Fall ist. Vielleicht erinnert er mich auch an jemanden. Aber ich weiß nicht, wer dieser Jemand ist.«
    »Warst du denn nie auf einer seiner Wahlveranstaltungen?«, fragte Stefanie.
    »Nein«, sagte Andreas. »Keine Zeit. War mir auch nicht wirklich wichtig. Ich darf ja als Nicht-Konstanzer auch nicht wählen, kann mit meiner Stimme also ohnehin nichts beeinflussen.«
    »Was glaubst du, wie sie ist?«
    Andreas wusste sofort, von wem sie sprach. »Deine Mutter?«, fragte er trotzdem vorsichtig nach.
    »Ja.« Stefanie, die die ganze Zeit über auf die Zeitung gestarrt hatte, blickte nun auf und sah ihrem Mann in die Augen, in der Hoffnung, dort Antwort auf ihre ungelösten Fragen zu bekommen. Andreas war immer für sie da, löste alle ihre Probleme, vom Strafzettel bis zur kaputten Waschmaschine. Er war ihr Held des Alltags und sie hatte sich daran gewöhnt, dass er auf alles eine Antwort wusste, für alles eine Lösung hatte. Und bevor Andreas in ihr Leben getreten war, war es ihre Mutter – Großmutter – gewesen, die sie stets zuverlässig vor allen Alltagssorgen beschützte. Doch auf diese wohl brennendste Frage ihres bisherigen Lebens konnte ihr auch ihr Mann keine Antwort geben. »Warum hat sie mich weggegeben? Warum hat Groß mutter mich angelogen, mein Leben lang? Und warum ist sie nicht mal zur Beerdigung gekommen? Sie muss ein herzloses Ungeheuer sein, dass sie so etwas tut«, brach es aus ihr heraus.
    »Das glaube ich nicht.« Andreas schob seine Hand über den Tisch, nahm die Hand seiner Frau und drückte sie zärtlich. »Ein herzloses Ungeheuer kann kein so wunderbares Wesen wie dich auf die Welt gebracht haben. Und deine Groß mutter war eine tolle Frau. Kein Mensch, der unter ihren Fittichen heranwächst, kann ein Ungeheuer werden. Irgendetwas muss da passiert sein und das herauszufinden, wird jetzt unsere Aufgabe sein. Möchtest du …«, er zögerte. »Möchtest du deine Mutter kennenlernen?«
    Stefanie schüttelte heftig den Kopf. »Auf keinen Fall. Selbst wenn sie kein Ungeheuer war, hat sie mich doch weggegeben und sich nie um mich gekümmert. Ich werde ihr bestimmt nicht nachlaufen.«
    Andreas sah ihr an, wie verletzt sie war und dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde. Er kannte die Anzeichen. Sie presste die Lippen dann fest aufeinander und verdrehte die Augen leicht nach oben. »Liebes.« Er stand auf, umrundete den Tisch, setzte sich neben sie und zog sie in seine Arme. »Ich bin überzeugt, dass sie gute Gründe hatte, dich wegzugeben. Wie triftig diese Gründe waren, siehst du vielleicht an dem Tod deiner Großmutter. Ich halte es nicht für ausgeschlossen,

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