Verheißung des Glücks
aussehen, dass er herausfand, welches Fest sie besuchte, und sich den Zutritt dort irgendwie erschwindelte. Er musste lediglich lange genug unentdeckt bleiben, um einmal kurz mit ihr sprechen zu können. Die Junggesellen, die Lincoln kannte, hatten solche Dinge manchmal aus purem Übermut getan. Aber im Grunde fand er das kindisch und er scheute die hochgradig peinliche Situation, die unweigerlich entstehen würde, wenn man ihn hinauswarf.
Leider hatte seine Tante in ihrem Bekanntenkreis wenig Glück und wusste am Abend des nächsten Tages kaum mehr als zuvor. Für Lincoln war das eine herbe Enttäuschung und er begann, nun doch drastischere Schritte in Erwägung zu ziehen.
Am darauf folgenden Nachmittag kam dann die heiß ersehnte Einladung doch noch. Lincoln und mit ihm alle Mitglieder des Haushalts erfuhren es fast sofort, denn Edith, die das Schreiben in Empfang nahm, stieß in ihrer Aufregung einen so durchdringenden Schrei aus, dass selbst der Koch aus der Küche gerannt kam, um nachzusehen, was geschehen war.
Als Lincoln in die Eingangshalle eilte, hörte er Henriette sagen: »Ich glaube es einfach nicht!« Sie wiederholte diesen Satz noch viermal. Edith schnappte noch immer nach Luft, aber wenigstens stieß sie keine markerschütternden spitzen Schreie mehr aus. Zwei Hausmädchen bemühten sich redlich, über Henriettes Schulter hinweg einen Blick auf den Brief zu erhaschen, den sie in ihrer zitternden Hand hielt. Sie wollten zu gerne den Grund für die Aufregung erfahren.
Lincoln vermutete, dass er keine verständliche Antwort erhalten würde, wenn er seiner Tante oder seiner Kusine in diesem Augenblick eine Frage stellte. Daher nahm er Henriette den Briefbogen aus der Hand und las selbst, was dort geschrieben stand. Er hob eine Augenbraue. »Ein Ball? Offenbar eine Einladung, mit der ihr nicht gerechnet habt.«
»Nicht irgendein Ball, mein lieber Junge. Der Ball schlechthin. Der alljährliche Moore-Ball ist eines der exklusivsten Ereignisse der gesamten Saison. Erst gestern hörte ich ein paar meiner Freundinnen seufzen, dass unsereins dazu wohl nie eine Einladung ergattern würde.«
»Dann haben sich deine nachmittäglichen Besuche ja offenbar doch noch ausgezahlt.«
Henriette schüttelte den Kopf. »Das habe sicher nicht ich bewirkt.« Dann sah sie an Lincoln vorbei zu Eleanor, die gerade die Treppe herunterkam. »Diese Einladung verdanken wir dir, nicht wahr? Wie hast du das nur geschafft, meine Liebe?«
Eleanor sah drein, als wolle sie abstreiten, dass sie in diesem Fall die Fäden gezogen hatte. Aber die Röte, die ihr in die Wangen stieg, verriet sie. Dennoch versuchte sie, das kleine Wunder, das sie vollbracht hatte, herunterzuspielen. »Elizabeth Moore ist eine alte Schulfreundin von mir. Sie lädt mich jedes Jahr zu ihrem Ball ein. Bislang habe ich immer dankend abgelehnt, weil ich während der Saison eigentlich nie in London bin. Gestern schickte ich ihr dann nur ein kleines Brieflein, in dem ich sie wissen ließ, ich sei gerade mit meiner Familie in der Stadt.«
»Das hier ist eine offene Einladung«, sagte Henriette ehrfurchtsvoll. »Du darfst deine ganze Familie mitbringen.«
»Ja, Elisabeth war schon immer sehr aufmerksam. Außerdem kennt sie sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bestens aus. Fehler, die sie später einmal in Verlegenheit bringen könnten, unterlaufen ihr so gut wie nie«, erklärte Eleanor.
»Du und Lady Moore, ihr seid über all die Jahre in Verbindung geblieben?«
Eleanor nickte. »Wenn im Haushalt alles läuft wie am Schnürchen, wird das Briefschreiben schnell zu einem anregenden Zeitvertreib. Bevor ich heiratete und nach Schottland zog, hatte ich einen großen Bekanntenkreis in England. Und mit vielen meiner früheren Freundinnen habe ich noch immer Kontakt. Wir schreiben uns regelmäßig. Sicher verhält es sich bei dir nicht anders.«
»Da hast du Recht.« Henriette kicherte leise. »Aber leider verschickt in meinem Bekanntenkreis niemand derart begehrte Einladungen.«
Eleanor errötete erneut, was durchaus an Lincolns forschendem Blick liegen konnte. Wieder einmal hatte sie erkannt, dass er Hilfe brauchte, und sie ihm zuteil werden lassen, ohne dass sie darum gebeten wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach ging auch Melissa zu diesem Ball. Und selbst wenn sie nicht dort erschien — die Persönlichkeiten, die er dort mit etwas Glück kennen lernen würde, konnten ihm die Türen öffnen, die schließlich zum Ziel seiner Träume führten.
Danken würde er
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