Verhext
schon los. Nur vergessen Se nich’, mir meinen Teil abzugeben, wenn Se meine Kutsche benutzen.«
Iphiginia hatte nicht die Zeit, um einem betrunkenen Kutscher eine Strafpredigt zu halten. Also wandte sie sich angewidert ab und blickte in Richtung des dunklen Eingangs von Haus Nummer neunzehn. Im Mondlicht las sie das Schild über der Tür.
DR. HARDSTAFFS MUSEUM DER GÖTTINNEN DER MANNESKRAFT
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Wie es schien, würde sie zumindest endlich erfahren, was es mit Dr. Hardstaffs Museum auf sich hatte.
Ein Blick über die Schulter zeigte ihr den beruhigenden Schimmer der Kutschenlampen. Der Kutscher wartete also immer noch.
Iphiginia ging näher an das Haus heran. Sie wünschte sich, Marcus wäre da. Oder wenigstens Amelia oder Zoe. Irgendwer.
Heute abend war sie noch viel aufgeregter als in der Nacht, als sie den Friedhof in Reeding aufgesucht hatte. Die in der letzten Nachricht enthaltenen Drohungen hatten ihre Nerven stärker angegriffen, als irgend etwas anderes es gekonnt hätte.
Als Iphiginia dicht genug an das Schild herangekommen war, entdeckte sie am unteren Ende eine aufgemalte Hand, deren ausgestreckter Zeigefinger dem Besucher bedeutete, dem schmalen Durchgang zwischen diesem und dem Nachbargebäude zu folgen.
Iphiginia spähte vorsichtig in die stockfinstere Gasse hinein. Alles, was sie erkennen konnte, war eine Treppe, die zum oberen Stockwerk des Hauses hinaufführte.
Mit einem letzten Blick in Richtung der Mietdroschke machte sie sich auf den Weg.
Sie erklomm die Stufen so leise wie möglich, wobei ihr Herz mit jedem Schritt schneller klopfte. Jedes Quietschen, jedes Knarren der Treppe ließ sie erschaudern. Die Dunkelheit schien mit jedem Schritt noch zuzunehmen.
Sie hätte nicht allein hierherkommen sollen.
Aber sie hatte keine Wahl gehabt.
Oben angekommen, hielt sie inne und starrte auf eine geschlossene Tür. In der Finsternis hätte sie beinahe das zweite Schild übersehen, das ihr zeigte, daß dies der Eingang zu Dr. Hardstaffs Museum war.
Gerade als sie die Hand auf den Knauf gelegt hatte, hörte sie das Klappern von Kutschenrädern. Sie wirbelte herum. Der Kutscher ließ sie im Stich.
»Nein!« Sie mußte unbedingt zurück.
Als die Lichter einer zweiten Kutsche erkennbar wurden, blieb sie stehen. Die Droschke war nicht abgefahren. Es war noch jemand gekommen.
Das Gefährt hielt direkt neben dem ihren. Pferde stampften mit den Hufen. Stimmen hallten durch die Dunkelheit.
»Warten Sie auf mich«, befahl eine dunkle Männerstimme.
Fußtritte auf dem Gehweg. Zu Iphiginias Entsetzen bogen sie nach kurzem Zögern in den schmalen Durchgang ein, an deren Ende sie auf der Treppe stand.
Sie wurde von Angst gepackt. Es wäre nur eine Frage von Sekunden, bis der Kerl das Ende des Weges erreicht hätte. Es war offensichtlich, daß er zu Dr. Hardstaffs Museum wollte. Sobald er die Treppe hinaufkäme, würde er sie entdecken.
Sie konnte nicht zurück, ohne direkt mit dem Fremden zusam-menzustoßen, also tat sie das einzig Mögliche. Sie drehte an dem Knauf, den sie in ihrem Rücken spürte.
Die Tür öffnete sich mit einem leisen Quietschen, und ohne die Treppe auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen, schob Iphiginia sich rückwärts in den dunklen Flur. Dann schloß sie lautlos die Tür.
Aus der Finsternis schoß ein Männerarm hervor und legte sich um Iphiginias Hals.
Sie wurde gegen eine breite Brust gezogen, und eine rauhe Hand hielt ihr den Mund zu, so daß sie noch nicht einmal die Gelegenheit zu schreien hatte.
»Verdammt«, murmelte Marcus. »Iphiginia?«
Sie nickte heftig. Unendliche Erleichterung wallte in ihr auf.
»Was in drei Teufels Namen -« Marcus nahm seine Hand von ihrem Mund.
»Jemand kommt die Treppe rauf, Marcus«, flüsterte sie eindringlich. »Er muß jeden Augenblick hier sein.«
»Verdammt.« Marcus ließ von ihr ab und packte ihre Hand. »Hier entlang. Beeil dich. Und sei leise.«
Das brauchte er nicht zweimal zu sagen. Die Schritte des Neuankömmlings hallten bereits auf der Treppe.
Marcus zerrte Iphiginia ans Ende des dunklen Flurs, wo er eine Tür öffnete und sie in einen großen Raum schob, der von einem einzelnen Wandleuchter schwach erhellt wurde.
»Was in aller Welt ist das?« Iphiginia sah sich erstaunt um. »Wo sind wir?«
Ein derart seltsames Mobiliar hatte Iphiginia noch nie gesehen. Exotische Tücher hingen von den Decken und verliehen dem
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