Verhext
zugenäht, Frau. Tu mir so etwas nie, nie wieder an«, knurrte er. Dann blickte er über ihren Kopf hinweg zu Dinks hinüber. »Gehen wir.«
»Mit dem größten Vergnügen, M’lord.« Dinks sah sich mit gerümpfter Nase in der Totengruft um. »Es gefällt mir nie besonders, auf ’m Friedhof rumzuhängen, aber um drei Uhr morgens schon mal gar nich’.«
Iphiginia hob den Kopf und sah die beiden Männer an. »Danke«, flüsterte sie. »Das werde ich Ihnen beiden niemals vergessen.«
»Schon gut, M’lady« Dinks tippte sich an den Hut. »Schon gut. Ich arbeite jetzt seit fast zehn Jahren für seine Lordschaft. Im allgemeinen geht’s bei ihm ruhiger zu. Da is’ das mal ’ne nette Abwechslung.«
»Los.« Marcus nahm Iphiginia fest am Arm. »Wir haben genug Zeit an diesem verdammten Ort verschwendet.«
Er schob Iphiginia vor sich her an einer langen Reihe finsterer Grabsteine vorbei, durch die Tore des Friedhofs und in die Kutsche. Als er sie endlich in Sicherheit wußte, wandte er sich an Dinks.
»Morning Rose Square Nummer fünf.«
»Sehr wohl, M’lord.«
Marcus stieg ebenfalls in die Kutsche und nahm Iphiginia gegenüber Platz. Er zog die Vorhänge zu, lehnte sich zurück und musterte Iphiginia im Licht der Lampe. Ihr Blick war immer noch gehetzt, aber ansonsten wirkte sie überraschend munter in Anbetracht der Zerreißprobe, die ihre Nerven eben hatten bestehen müssen.
Einen Augenblick lang gestattete er sich den Gedanken an das angenehme Gefühl, das er vor wenigen Minuten verspürt hatte, als sie sich in seine Arme geworfen hatte. Doch dann wallte erneut Zorn in ihm auf.
»Iphiginia, diese Aktion war zweifellos das Unendschuldbarste, Verwegenste, Gedankenloseste, Hirnloseste, was ich je erlebt habe. Du behauptest, du seist eine intelligente Frau. Dann erklär mir bitte mal, was an deinem Vorgehen heute nacht intelligent gewesen sein soll.«
»Marcus -«
»Verdammt, was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?«
Sie zuckte zusammen. »Halten Sie all Ihren Mätressen derart unangenehme Vorträge?«
»Nein, das tue ich nicht«, knurrte Marcus mit zusammengebissenen Zähnen. »Aber ich hatte auch noch nie eine Mätresse wie dich.«
Ihre Augen begannen, vergnügt zu blitzen. »Sie meinen, Sie hatten nie zuvor eine Scheinmätresse?«
»Nein, die hatte ich noch nicht. Und in Anbetracht der Tatsache, daß du nur die Rolle meiner Mätresse spielst, finde ich, daß ich das Recht habe, mich etwas überrumpelt zu fühlen. Himmel, Iphiginia, du hast mir heute nacht wirklich einen Schrecken eingejagt. Wie in aller Welt ist es bloß dazu gekommen, daß du in dieser Gruft eingesperrt worden bist?«
»Ich nehme an, Sie haben mit Amelia gesprochen?«
»Miss Farley war diejenige, die mir gesagt hat, wo ich dich finden würde.«
»Dann wissen Sie also auch, daß die Anweisungen des Erpressers eindeutig waren. Ich sollte das Geld in der Grotte lassen.«
»Ja.«
»Irgendwer ist mir gefolgt und hat das Tor verschlossen, als ich drinnen war«, sagte Iphiginia leise.
Marcus sah sie reglos an. Dann beugte er sich vor. »Hast du diese Person gesehen?«
»Es hat mir nichts genützt. Er trug einen Umhang mit einer Kapuze, genau wie ich. Ich habe sein Gesicht nicht erkannt. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, daß es ein Mann war.« Iphiginia griff in die Tasche ihres Umhangs. »Wer auch immer es war, er hat diese Nachricht auf dem Boden der Gruft zurückgelassen.«
Marcus nahm ihr den Zettel aus der Hand und überflog ihn eilig. »Eine Drohung.«
»Ja. Offensichtlich wußte er oder sie, daß ich nicht Tante Zoe war.«
»Dann weiß der Bastard erheblich zuviel.« Marcus faltete das Blatt zusammen, blickte auf und runzelte die Stirn, als ihm zu spät ein Gedanke kam. »Was hast du mit dem Geld gemacht?«
Iphiginia riß entsetzt die Augen auf. »Großer Gott, ich habe es in der Grotte liegenlassen.«
»Verflucht.« Marcus stand auf und schob die Luke im Dach der Kutsche auf. »Drehen Sie um, Dinks. Zum Friedhof. Schnell.«
Dinks zuckte mit den Schultern. »Wie Sie wünschen, M’lord.«
Iphiginia runzelte die Stirn. »Glauben Sie, daß wir rechtzeitig kommen, um zu beobachten, wie der Erpresser das Geld abholt?«
»Das wage ich zu bezweifeln. Nicht bei dem Glück, das wir in letzter Zeit haben.«
Als die Tore des Friedhofs in Sicht kamen, sprang Marcus aus der Kutsche. Er rannte an einer Reihe von Grabsteinen vorbei direkt zu der Gruft. Iphiginias Umhang wirbelte um ihre Beine, als sie ihm in dichtem Abstand
Weitere Kostenlose Bücher