Verlangen unter falschem Namen
Frauchen vermisste. Trotzdem wirkte er wie ein Seelentröster.
Manchmal tauchte Vicenzo plötzlich in der Villa auf, nachdem er einige Tage in Rom oder anderswo verbracht hatte. Und jedes Mal war sie freudig überrascht. Je besser es ihr ging, desto schlechter konnte sie die Wiedersehensfreude verbergen.
Eines Abends, nachdem Silvio bereits ins Bett gegangen war, schlenderte Cara noch einmal hinaus auf die Terrasse. Als sie Vicenzo an dem schmiedeeisernen Tisch beim Espresso sitzen sah, blieb sie erstaunt stehen. Er blickte nachdenklich in seine Tasse, sah aber auf, als er Cara hörte.
„Entschuldige!“ Ihr Herz begann, unregelmäßig zu schlagen. „Ich wollte dich nicht stören.“ Sie wandte sich zum Gehen, doch Vicenzo stand auf.
„Nein, bitte, bleib hier.“
Widerstrebend kam sie zu ihm an den Tisch und setzte sich. Vor ihm lag ein Stapel Papiere.
„Hast du gearbeitet?“, fragte Cara nach einer Weile zögerlich.
Er lachte kurz auf. „Das kann man wohl sagen. Ich habe versucht nachzuvollziehen, was dein Bruder angerichtet hat. Damit mir nicht noch einmal so ein Übernahmeangebot ins Haus steht.“
Sofort krampfte sich Caras Magen zusammen. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte sie dann spontan. „Ich kannte Cormac. Ich weiß, wie er getickt hatte. Vielleicht sehe ich Dinge, die du nicht siehst.“ Beinah entschuldigend fügte sie dann hinzu: „Außerdem habe ich einen Abschluss in Buchhaltung.“
Vicenzo sah sie unverwandt an. „Warum nicht“, nickte er nach einer Weile. „Ich könnte wirklich ein bisschen Hilfe bei all den Zahlenkolonnen gebrauchen.“
Er brachte sie in sein Büro in der Villa und bat sie, sich an einen Tisch zu setzen, auf dem weitere Papiere lagen. „Das da ist das Durcheinander, das es immer noch zu klären gilt. Inzwischen werden die Transaktionen an der Börse natürlich besser verfolgt, und auch in der Verwaltung habe ich einiges geändert. Dieser Angriff auf meine Firma hat mich wirklich nervös gemacht, und darum will ich auch ganz genau wissen, wie dein Bruder es angestellt hat.“
Vicenzo trat vom Tisch zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich muss gestehen, dass es nicht einer gewissen Ironie entbehrt, sich vorzustellen, dass du als seine Schwester nun helfen willst, das Chaos zu lichten.“
Cara hob das Kinn. „Warum zeigst du mir nicht einfach, was ich tun soll?“, fragte sie – entschlossen, sich nicht verunsichern zu lassen.
10. KAPITEL
Von seinem Schreibtisch aus sah Vicenzo zu Cara hinunter, die im Schneidersitz auf dem Boden saß und alle Papiere um sich verteilt hatte.
Am Abend zuvor hatten sie zu seinem großen Erstaunen noch bis spät in die Nacht zusammen gearbeitet. Als er am Morgen die Tür zu seinem Büro geöffnet hatte, war Cara schon da gewesen und brütete bereits wieder über den Unterlagen. Irgendwie hatte er dabei beinahe ein schlechtes Gewissen bekommen.
In den vergangenen Wochen hatte er gesehen, wie sehr sie unter der Fehlgeburt litt. Schuld und noch ein viel beunruhigenderes Gefühl hatten in ihm miteinander gekämpft. Er tat sein Möglichstes, um Cara Freiraum zu geben und sie in Ruhe zu lassen. Aber die vielen Fragen blieben – zu viele Fragen –, zusammen mit der erstaunlichen Entdeckung, dass er Cara unter keinen Umständen gehen lassen wollte.
Heute trug sie wieder einmal ihr übliches Schwarz, diesmal in Form eines ärmellosen Oberteils und einer kurzen Hose. Die Haare hatte sie wild hochgesteckt. Vicenzo sah ihr schönes Profil und den grazilen Nacken, während sie den Kopf gebeugt hielt. Außerdem hatte er einen faszinierenden Blick auf den Ansatz ihrer Brust und die bloßen, wohlgeformten Beine. Hin und wieder streckte sie einen Arm aus, um Doppo zu tätscheln, der neben ihr lag und sie anhimmelte.
Am liebsten wäre Vicenzo selbst von Cara gestreichelt worden – und zwar überall, besonders da, wo es jetzt bereits wieder ungnädig zu pulsieren begann. Er setzte sich im Schreibtischstuhl zurecht und sah, wie Caras Rücken sich einen Moment versteifte. Ob sie sich seiner genauso bewusst war?
Um sich abzulenken, stand er auf und ging um den Schreibtisch herum. „Wenn du nicht zur Universität gegangen bist, wie hast du dann dein Diplom bekommen?“
Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. Geistesabwesend strich sie sich eine Strähne hinters Ohr. Als sie sah, wie Vicenzos Blick ihrer Bewegung folgte, begannen in ihrem Bauch Schmetterlinge zu fliegen.
„Ich habe ein Fernstudium gemacht.
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