Verlangen unter falschem Namen
Cormac wollte nicht, dass ich zur Uni gehe.“
„Hast du immer getan, was dir dein Bruder gesagt hat?“, fragte Vicenzo spöttisch.
Cara schnitt eine Grimasse. Sie hatte getan, was ihr Bruder wollte, damit sie nicht auf der Straße stand – mit sechzehn, allein in London. Natürlich hatte sie gehofft, dass sich Cormac eines Tages doch noch in den fürsorglichen großen Bruder verwandeln würde, den sie sich immer gewünscht hatte. Rückblickend betrachtet, war das natürlich total abwegig gewesen. „Ja“, erwiderte sie dann.
„Ohne Uni-Stundenplan warst du ihm wohl nützlicher, da ihr sonst euer ausschweifendes Nachtleben nicht hättet führen können.“
„Ich habe dir schon mehrmals gesagt, dass mein Leben mit meinem Bruder nicht so war, wie du denkst.“
„Wie ist es dann gewesen, Cara? Wie viele arme, fehlgeleitete Erbinnen habt ihr verführt, um sie auszunehmen?“
Das tat weh. Wie hatte sie nur für eine Sekunde vergessen können, dass Vicenzo wieder auf sie losgehen würde, sobald sie sich erholt hatte?
„Ich muss mir das nicht anhören“, sagte sie, stand auf und wollte den Raum verlassen. Aber Vicenzo hielt sie am Arm fest und wirbelte sie wieder zu sich herum. Cara sah, wie er die andere Hand hob, und duckte sich reflexartig. Es wurde schrecklich still, und Caras Atmen klang unerträglich laut.
„Glaubst du wirklich, ich wollte dich schlagen?“, fragte Vicenzo nach einer Weile entsetzt.
„Nein“, antwortete Cara mit bebender Stimme. „Ich weiß nicht, was –“
„Dich hat jemand geschlagen“, stellte Vicenzo grimmig fest. „Wer? Mortimer?“
Um ihm diese Frage zu beantworten, schämte Cara sich viel zu sehr. Doch dann tat Vicenzo etwas, wogegen sie nicht ankam. Er lockerte den Griff und begann sie dort zu streicheln, wo er sie vorher festgehalten hatte. Cara erbebte und sah flehentlich zu ihm auf. Aber Vicenzo blieb unerbittlich.
Geschlagen ließ sie den Kopf sinken. „Cormac“, gestand sie so leise, dass man es kaum hören konnte. „Manchmal, wenn er betrunken war, hat er nach mir ausgeholt …“
In diesem Augenblick erschien Lucia auf der Tür schwelle. „Signore Valentini wartet draußen auf der Terrasse“, informierte sie Cara.
„Wir wollen Schach spielen“, erklärte Cara und sah zu Vicenzo, dessen Gesichtsausdruck sie nicht deuten konnte. „Ich habe deinem Vater für heute Morgen eine Partie versprochen.“ Ihr Blick ging zu den Papieren auf dem Boden.
„Lass nur, ich räume das weg.“
Nachdem Cara das Büro verlassen hatte, dachte Vicenzo wieder daran, wie sie sich geduckt hatte, weil sie dachte, er wolle sie schlagen. Dabei hatte er die Hand nur erhoben, falls er Cara hätte abfangen müssen, weil er sie zu stark herumgewirbelt hatte. Diese Frau gab ihm so viele Rätsel auf, und das machte ihn merkwürdig angreifbar. Dieses Gefühl hatte ihn schon einmal in seinem Leben beinahe zerstört, und er wollte es eigentlich nicht wieder zulassen.
Als Silvio sich nach dem Abendessen zurückzog, kam Vicenzo um den Tisch herum zu Cara, bevor sie ebenfalls gehen konnte. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben, und der Stoff der Hose spannte sich im Schritt. Als Cara spürte, wie sie darauf reagierte, errötete sie unwillkürlich. Da er sie in den vergangenen Wochen kaum berührt hatte, war sie noch empfänglicher für seine Reize.
„Was ist?“, fragte sie.
„Du wirst doch morgen dreiundzwanzig …“
„Ja …“, entgegnete sie unsicher, weil sie nicht wusste, worauf er hinauswollte.
„Ich dachte, wir sollten Waffenstillstand schließen. Ich besitze eine Villa an der Costa Smeralda in Porto Cervo. Wir fliegen morgen Nachmittag dahin, und dann gehen wir dort essen.“
Cara zuckte nur die Schultern, weil sie viel zu verwirrt über sein Angebot war.
„Wir fliegen um sechzehn Uhr hier ab und bleiben über Nacht. Nimm etwas Schickes zum Anziehen mit.“
Lange sah Vicenzo Cara noch nach, als sie den Raum verließ, und stellte dann seinen Geisteszustand infrage. Was hatte er getan? Sie zum Essen eingeladen, um anschließend über Nacht mit ihr allein in seiner Villa zu bleiben?
Schließlich beruhigte er sich damit, dass dies ein letzter Test sein sollte. Er würde sie ins Jet-Set-Nachtleben von Porto Cervo entführen. Dort würde sie ihr wahres Gesicht zeigen, weil sie gar nicht anders konnte. Das würde zweifellos die immer stärker werdende Furcht in ihm besiegen, ihr womöglich Unrecht getan zu haben.
Als sie am nächsten Tag auf dem kleinen
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