Verlangen unter falschem Namen
merkwürdigen Zeiten das Haus, wurde einsilbig und antwortete ausweichend auf meine Fragen. Dabei distanzierte sie sich immer mehr von uns. Ich hatte schnell den Ver dacht, dass sie ein Verhältnis hatte, und stellte sie zur Rede. Sie gab zu, ihre Jugendliebe wiedergetroffen zu haben. Seine Frau war gestorben und hatte ihn mit einem kleinen Kind zurückgelassen. Emilia sagte mir, dass er sie gebeten habe, zu ihm zurückzukommen.“
„Nein!“, rief Cara unwillkürlich, aber Silvio schien sie gar nicht zu hören.
„Ich habe sie angefleht zu bleiben, ja regelrecht darum gebettelt. Aber es war sinnlos. Sein Einfluss war stärker. Ich weiß nicht, was die Kinder davon mitbekommen haben, aber irgendwie haben sie es gewusst. An dem Tag, als meine Frau uns verließ, standen sie unten in der Halle. Allegra hielt Vicenzos Hand ganz fest. Als Emilia mit ihrem Koffer die Auffahrt hinunterging, riss sich Allegra los, um ihr nachzulaufen. Unter Tränen bat sie ihre Mutter zu bleiben und klammerte sich an sie. Emilia musste sie regelrecht zurückstoßen. In dem Moment ist Vicenzo losgelaufen. Er folgte ihr den ganzen Weg bis hinunter zum Tor, wo ihr Liebhaber mit dem Auto wartete. ‚Warum? Warum? Warum?‘, fragte Vicenzo die ganze Zeit. Immer wieder wiederholte er dieses eine Wort. Emilia stieg ein, und der Mann startete den Motor. Sein Kind saß auf dem Rücksitz. Vicenzo klammerte sich an die Beifahrertür, sodass Emilia sie nicht schließen konnte. Am Ende ist sie wieder ausgestiegen und hat ihm eine so heftige Ohrfeige gegeben, dass ich es noch im Haus habe klatschen hören. Erst danach hat Vicenzo losgelassen und ein für alle Mal aufgehört, nach dem Warum zu fragen.“
Darum also hatte Vicenzo geglaubt, sie wäre kalt genug, um ihr Baby zu verlassen. Sie sah zu Silvio und hoffte, dass das Entsetzen, das sie empfand, sich nicht in ihrem Gesicht spiegelte. „Ich hatte ja keine Ahnung …“
„Das dachte ich mir schon. Vicenzo hat nie wieder darüber gesprochen.“
Bevor Cara irgendetwas dazu sagen konnte, entschuldigte sich Silvio. „Ich fürchte, meine Liebe, ich muss jetzt ins Bett.“
Sie brachte ihn noch zum Pfleger und ging dann zurück auf die Terrasse, wo sie eine ganze Zeit lang im Dunkeln saß. Welch starkes Band musste sich an jenem Tag zwischen Vicenzo und Allegra gebildet haben! Mit Bedauern dachte sie daran, was die beiden damals durchgemacht hatten. Doch auch mit diesem Wissen konnte sie nicht wirklich sagen, was in Vicenzo vorging. Sie wusste jetzt nur, dass er genauso wenig aus Liebe heiraten würde, wie sie jemals von den Verfehlungen und Schulden ihres Bruders befreit wäre.
Kein Wunder, dass Vicenzo mit ihr so einfach zum Standesamt gegangen war. Über kurz oder lang würde er diese Verbindung lösen. Dann könnte sie endlich damit beginnen, ihm das Geld zurückzuzahlen und würde ihn wohl nie wiedersehen. Bei diesem Gedanken zog sich allerdings ihr Herz zusammen.
Aus Hass? Nein! Sie empfand ein tiefes Ver langen danach, dass er endlich wieder mit ihr schlafen würde. Aber in der vergangenen Nacht in Porto Cervo war ja wohl deutlich geworden, dass sein Interesse an ihr gestorben war.
11. KAPITEL
Als Vicenzo Cara sah, die am Beckenrand des Pools hinter der Villa saß, machte sein Herz einen Sprung und ihm wurde klar, dass er sie vermisst hatte. Doppo lag ausgestreckt neben ihr, und Vicenzo überlegte wieder einmal, warum das Tier sofort Zutrauen zu ihr gefasst hatte. Er selbst war gerade oben bei Allegras Grab gewesen, das auf einem Hügel mit Meeresblick lag, und hatte dort frische Blumen entdeckt. Vielleicht von Tommaso oder Lucia, aber …
Noch bevor Doppo aufsprang und erfreut mit dem Schwanz wedelte, spürte Cara Vicenzos Anwesenheit. Als sie sich umdrehte und ihn sah, überlief sie ein wohliger Schauer. Er hielt irgendetwas hoch – eine Karte. Cara erkannte sie sofort wieder. Es war die Beileidskarte, die sie vor Wochen ins Londoner Valentini-Büro geschickt hatte.
„Ich habe sie jetzt erst bekommen“, erklärte er, „als ich wieder in Rom war. Sie steckte in einem Stapel anderer Beileidskarten.“
Cara schluckte und senkte den Blick. „Ich habe sie abgeschickt, bevor wir uns in dem Club getroffen haben. Ich wusste nicht, wie ich dich sonst erreichen sollte.“
Zu ihrer Überraschung wirkte er irgendwie niedergeschlagen.
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du in dem Club gearbeitet hast, Cara?“
„Wie hast du das herausgefunden?“, fragte sie erschrocken und sah ihn
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