Verlangen
Glück Sie verlassen haben könnte? Mir scheint, daß Sie in letzter Zeit doch sehr gut für sich gesorgt haben.«
»Es hat ein, zwei kleine Zwischenfälle gegeben. Es besteht kein Grund, näher darauf einzugehen. Wenn Sie wirklich nichts damit zu tun haben, ist es besser, wenn Sie so wenig wie möglich wissen. Wenn Sie jedoch etwas damit zu tun haben, liegt es eventuell in Ihrem Interesse, dafür Sorge zu tragen, daß sich derartige Ereignisse nicht wiederholen.«
»Weshalb sollte ich ein Interesse an Ihrem Wohlergehen haben? Sie waren mir immer höchst lästig, Stonevale.«
»Lassen Sie es mich einmal so sagen. Sollte es noch einmal zu einem irgendwie gearteten Zwischenfall kommen, den ich, sagen wir, unangenehm finde, werde ich wiederkommen, und wir werden die Sache eingehender besprechen. Vielleicht draußen in Clergy Field? Im Morgengrauen?«
Edgeworth’ Hand verharrte reglos auf den Karten. »Das ist nicht fair, falls ich nicht hinter diesen Zwischenfällen stecke.«
»Ja, aber das Leben ist selten fair, nicht wahr? Das habe ich an dem Tag festgestellt, an dem ich beobachtete, wie Sie zwischen den Toten und Verwundeten herumschlichen und ihnen die Taschen ausraubten.«
Lucas erhob sich, wandte sich um und verließ den Spieltisch, ohne sich noch einmal umzublicken.
Victoria stand in ihrem Nachthemd am Fenster, als sie hörte, wie sich die Verbindungstür hinter ihr öffnete. Sie wirbelte herum.
»Da bist du endlich. Gott sei Dank. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.« Barfuß flog sie ihm entgegen und warf sich in seine Arme.
Lucas schwankte ein bißchen, fing sich jedoch sofort und hielt sie fest. »Ich werde Zusehen müssen, daß du dir etwas häufiger Sorgen um mich machst, wenn mich dann eine solche Begrüßung erwartet.«
»Bitte mach dich nicht über mich lustig.« Sie hob den Kopf von seiner Schulter und runzelte die Stirn. »Wo warst du? Was hast du gemacht? Hast du irgend etwas herausgefunden?«
Lucas hielt ihr Kinn fest. »Eins nach dem anderen, meine Süße. Ich hatte eine lange Nacht.«
»Nun, ich auch. Und ich muß dir sagen, Lucas, daß ich dir nicht gestatten werde, mich noch einmal zu Hause zu lassen, während du unterwegs bist, um Informationen zu sammeln. Das Herumsitzen und Warten ist nervenaufreibend. Nun, was genau hast du gemacht? Hast du Edgeworth gefunden?«
Er löste die Umarmung und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Ich habe ihn gefunden. Ich weiß nicht, ob er etwas von den Geschehnissen weiß oder nicht. Aber zumindest hätte er ein Motiv dafür, mir Schwierigkeiten zu machen.«
Sie nickte schnell und nahm ihm gegenüber Platz. »Weil du mehr oder weniger dafür verantwortlich bist, daß er in den Clubs nicht mehr willkommen ist.«
Lucas massierte sein Bein. »Tatsächlich reicht die Geschichte ein wenig weiter zurück.«
Sie beobachtete ihn aufmerksam. »Bis wohin reicht die Geschichte denn genau, Lucas?«
»Bis zu dem Tag, an dem ich mir die verdammte Verwundung zugezogen habe. Edgeworth war dabei.«
»Du meinst, er hat an dem Tag auch gekämpft?«
»Nicht genau«, sagte Lucas. »Sagen wir, er zog es vor, die Schlacht aus sicherer Entfernung zu verfolgen.«
Schließlich begriff Victoria. »Er ist davongelaufen?«
»Das passiert in Schlachten. Edgeworth war nicht der erste, und er wird auch nicht der letzte sein. Wer weiß? Wenn mehr Männer die Vernunft besäßen und wegliefen anstatt aufeinander zu schießen, gäbe es vielleicht weniger Kriege.«
Victoria war überrascht. »Lucas, du verurteilst ihn nicht wegen seiner Feigheit?«
»Eigentlich nicht. Feigheit im Angesicht des Feindes mag vielleicht keine besonders lobenswerte Eigenschaft sein -«
»Wohl kaum.«
»Aber ich kann sie verstehen.« Er warf ihr einen kühlen Blick
zu. »Und verzeihen. Angst ist etwas, womit man nicht so einfach fertig wird, und Krieg ist eine bemerkenswert dumme Art, Konflikte zu lösen. Soviel habe ich während meiner Militärkarriere gelernt. Die Vorstellung, daß ein Mann es vorzieht, vom Schlachtfeld zu flüchten, ist einleuchtend. Sie erscheint mir sogar eher logisch.«
Victoria erholte sich von ihrer Überraschung und dachte über seine Worte nach. »Wahrscheinlich hast du recht. Aber laß das bloß niemals deine Freunde in den Clubs hören.«
Er lächelte. »Ich bin schließlich kein vollkommener Trottel. Solche Dinge sage ich nur dir gegenüber, Vicky. Du bist der einzige Mensch, mit dem ich frei sprechen kann.«
Sie lächelte und spürte, wie eine wohlige Wärme
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