Verliebt, verlobt und eingesargt
Betrieb. Aus den Auspuffrohren der Fahrzeuge strömten weiße Wolken, die sich zu nebelhaften Gebilden aufquollen. An manchen Stellen glänzte die Fahrbahn gefährlich dunkel. Dort hatte sich Feuchtigkeit niedergelassen, die schnell gefror.
Walter rauchte eine Zigarette. Er ließ sie im Mund, als er wieder anfuhr und kurz danach fragte, wo er sich einordnen sollte.
»Du kannst auf der linken Seite bleiben.«
»Gut.«
In den nächsten beiden Minuten schwiegen sie. Gegenverkehr herrschte nicht. Die B 1 führte vierspurig weiter, zwischen den Fahrbahnen befand sich ein breiter Mittelstreifen, auf dem Bäume wuchsen, die wie erstarrte Schattengebilde aussahen.
Rechts lagen einsam und wie geduckt unter der Kälteglocke alte Häuser und Villen. Wer in dieser Gegend wohnte, gehörte nicht zu den Ärmsten der Stadt.
Das bemerkte auch Walter Kissner. »Deine Mutter hat sich aber eine vorneh me Gegend ausgesucht.«
Er verstand das Lachen seiner Verlobten nicht. Danach fragte sie:
»Meinst du?«
»Ja.«
»Dann laß dich mal überraschen.« Er hob die Schultern.
»Das muß ich ja wohl. Wohnt sie noch vor dem Hauptfriedhof oder dahinter?«
»In der Mitte.«
»Auf dem Friedhof also?«
»Ja.«
»Ha.« Er nahm die Kippe aus dem Mund und zerdrückte sie im Aschenbecher. »Das glaubst du doch wohl selbst nicht.«
Susy schwieg.
Sie rollten weiter. Manchmal glitzerte an den Rändern der Fahrbahn blaugraues Eis. Die Scheinwerferstrahlen wischten darüber hinweg.
»Halte dich immer nur auf der Mitte und möglichst dann links. Ich sage schon, wenn du abbiegen mußt.«
»Klar.« Sie erreichten eine große Kreuzung. Links glänzte hell wie ein Stern das gewaltige Schild der Automarke VW. »Noch weiter?« fragte er.
»Ja. Vorbei am Hotel…«
»Ich weiß schon. Danach liegen auf der rechten Seite die Kasernen der englischen Soldaten, links die Sportplätze, dann kommt der Friedhof. Und hinter den Sportplätzen gibt es noch ein brachliegendes Zechengelände. So gut kenne ich mich aus.«
»Wunderbar.«
Sie rollten wenig später an den Dingen vorbei, die der Mann aufgezählt hatte. Das Hotel, es beherbergte auch ein sehr gutes Restaurant, lag im matten Schein der Außenleuchten und grüßte herüber wie eine Insel der Ruhe.
Schon sehr bald sahen sie auf der linken Seite keine Häuser mehr, da wuchs ebenfalls etwas Dunkles in den nächtlichen Himmel. Das gewaltige, baumbestandene Areal des Hauptfriedhofes.
»Du mußt auf die linke Abbiegspur«, sagte Susy, die Dortmund angeblich kaum kannte.
Walter ging vom Gas. Hinter ihm war alles frei. Er rollte fast im Schrittempo. »Da geht es wirklich zum Friedhof.«
»Dort will ich auch hin.«
Walter schüttelte den Kopf. »Ich dachte, wir würden zu deiner Mutter fahren.«
»Eben.«
Walter Kissner war so gefahren, daß er vor einer rot zeigenden Ampel stoppen mußte. Er schluckte und bekam ein ungutes Gefühl. Gleichzeitig rann auch eine leichte Gänsehaut über seinen Rücken. Susy warf ihm einen knappen Blick zu. »Sie liegt dort begraben, falls du das nicht wissen solltest.«
»Das hatte ich mir schon gedacht.«
»Dann ist ja alles klar.«
»Nichts ist klar«, sprach er dagegen. »Überhaupt nichts. Ich bin doch ein Idiot, hier mitten in der Nacht und bei sibirischer Kälte loszufahren und das Grab deiner Mutter zu besuchen. Was soll das alles? Kannst du mir das erklären?«
»Sie ist meine Mutter!«
»Na und.«
»Ich will ihr sagen, daß ich mich verlobt habe.«
Walter lachte schrill und schlug mit der flachen Hand gegen seine Stirn. »Einer Toten das erzählen, wie?«
»Ja.«
»Das ist doch hirnrissig. Sag mal, spinnst du eigentlich?«
Sie deutete gegen die Frontscheibe. »Fahr weiter, es ist grün.«
Walter Kissner überlegte tatsächlich, ob er nicht einfach umkehren sollte. Aber er sah wieder Susy vor sich, wie sie so herrlich nackt vor ihm stand. Dieses Bild wollte ihm nicht aus dem Sinn. Susy zu besitzen, war für ihn das Höchste. Da konnte er schon einen kleinen Umweg in Kauf nehmen. Er mußte quer über die Gegenfahrbahn und konnte in die Straße rollen, an der der große Haupteingang des Friedhofs lag. Parkplätze befanden sich ebenso in der Nähe wie ein Blumenladen und eine Kneipe, die bei den Stammkunden »Zum letzten Skelett« hieß.
Sie fuhren bis dicht an das große Eingangstor heran, das um diese Zeit natürlich verschlossen war. Susy stieg als erste aus. Sie schien es sehr eilig zu haben.
»Kannst du es nicht erwarten, zum Grab deiner Mutter
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