Verliebte Abenteuer
tragen ließ. Fotoreporter einiger Illustrierten knipsten Loretta und schickten ihren Redaktionen die Bilder mit den Unterschriften ›Loretta Gower will sich erholen‹ oder ›Ein Opernstar am Badestrand‹. So was sieht und liest die Menge gern, und wenn es hundertmal derselbe Quark ist.
Gary Wragby war als Hotelgeschäftsführer ein alter Hase. Ein Blick hatte ihm genügt, und er quartierte William neben Lorettas Appartement in ein Zimmer ein, das durch einen Balkon mit den Räumen Lorettas verbunden war. Dann gab er strikte Anweisung, Frau Gower so unauffällig wie möglich zu bedienen und so zu tun, als sei sie völlig inkognito gekommen. Wer zwanzig Jahre lang ein Hotel leitet, weiß rasch, welche Bande zwischen einer Dame und ihrem Chauffeur bestehen (oder noch nicht bestehen), und wo man so diskret wie möglich zu sein hat. (Dabei ergab es sich dann oft genug, daß sich Wragby fragte: Warum bin ich Hoteldirektor geworden und nicht Chauffeur?)
Der Badestrand von Brighton ist berühmt. Man kann dort so ziemlich alle Annehmlichkeiten haben, die man sich wünscht, mit Ausnahme von Ruhe und Alleinsein. Loretta hatte anscheinend keine andere Passion, als in einem wundervollen Badeanzug im Sand herumzustapfen, mit Flip ins Meer hinauszuschwimmen und sich zu sonnen. Faul lagen sie dann am Strand, spielten mit den Fingern im Sand oder lasen in bunten Magazinen, die alle entzückende Liebesgeschichten brachten, in denen ein Happy-End das andere jagte (ganz wie im wirklichen Leben, dachte William bitter). Einmal fanden die zwei sogar eine von William verfaßte Geschichte in einem Magazin, und er schämte sich, je einen so haarsträubenden Blödsinn geschrieben zu haben.
»Oh, sehen Sie her!« rief Loretta und tippte mit dem Finger auf die Magazinseite. »Eine Geschichte von William Ashborne!«
»Heilloser Quatsch!« erklärte William wegwerfend. »Da schreibt dieser Ignorant, daß man einer Frau mit Geist imponieren kann.«
»Und stimmt das etwa nicht?«
»Nein.« William drehte sich auf den Rücken und starrte in den wolkenlosen, blauen Sommerhimmel. »Wer heute mit einem Aufwärtshaken einen Zweizentnermann k.o. schlägt, ist gefragter als geistvolle Denker. Heute triumphiert der Bizeps – der Geist geht baden oder haust in Kellerwohnungen. Das ist traurig, Mylady, aber es ist so. Heute fragt man nicht mehr, was kannst du, sondern was hast du? Und wenn einer die Leute übers Ohr haut und dadurch zu Geld kommt, steht er gesellschaftlich wesentlich höher als der stille Gelehrte, der den Zusammenhängen im Weltall nachspürt. Und so ist es überall. Eine Illustrierte, die heute auf ihren Titelblättern nicht ständig nackte – oder zumindest halbnackte Frauen bringt, schwebt in Gefahr, pleite zu gehen. Den Entdecker des Erregers der spinalen Kinderlähmung aber mag keiner sehen. Was will der alte Mann mit Bart und Brille in einer Illustrierten? Das ist der Geschmack des zwanzigsten Jahrhunderts, Mylady. Ich komme da nicht mehr mit.«
Loretta lag auf dem Bauch und scharrte mit den Händen kleine Hügel aus Sand zusammen. Es sah aus, als wollte sie um sich herum einen Wall errichten.
»Was betrachten Sie denn als das Höchste in unserem Leben, Flip?« fragte sie.
»Die Seele, Mylady«, antwortete William. »Sie ist das Wichtigste, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Ohne Seele, Mylady, wäre der Mensch nicht mehr menschlich.«
Loretta wischte die kleinen Sandhügel mit der Hand weg und richtete sich auf.
»Wir wollen lieber das Meer und den blauen Himmel genießen, als uns mit solchen Themen befassen. Sie sind kein guter Gesellschafter, Flip.«
William sah sie vorwurfsvoll an.
»Verzeihung, Mylady, lassen Sie mich gleich das Thema wechseln. Ob wir morgen wieder schönes Wetter haben? Der Himmel ist so blau – ob er eigentlich so blau bleibt?«
»Jetzt werden Sie albern, Flip«, sagte Loretta und sprang auf. »Kommen Sie, wir gehen ein Eis essen. Vielleicht bringt Sie das auf andere Gedanken.«
Gehorsam erhob sich William und trottete neben Loretta her. Sie ist die Herrin, dachte er, ich bin nur ein Knecht, buchstäblich sogar, ein Pferdeknecht, und muß mich von ihr zurechtweisen lassen. Mißmutig setzte er sich in den Eispavillon am Strand und aß ein Vanilleeis. Stumm saßen sie einander gegenüber, bis Loretta plötzlich ihren Stuhl zurückstieß und zwei ihr bekannte Schauspielerinnen, die sie in der Nähe entdeckt hatte, begrüßte. Sie bummelte mit den beiden ein Stück am Strand entlang,
Weitere Kostenlose Bücher