Verlockende Versuchung
ihre Unsicherheit spüren. Doch dann sah er vor seinem inneren Auge das Bild aufsteigen, wie sie noch vor wenigen Momenten ausgesehen hatte, als sie die Treppe hinuntergeschritten war.
Er hatte sich nicht bewegt. Er hätte es auch gar nicht gekonnt.
Ebenso wie er nicht den Blick von ihr lassen konnte, als sie näher gekommen war. Sie war j ung und bezaubernd, und nichts erinnerte mehr an das triefende, halb tote Gossenmädchen, das er von der Straße in sein Haus getragen hatte. Obwohl sie bereits damals der Inbegriff von Anmut und Zartheit gewesen war.
Und nun erstrahlte diese Lieblichkeit noch heller.
Ein weiterer Gedanke traf Sebastian.
Devon konnte es nicht nur mit jeder Schönheit in London aufnehmen, sondern stellte jede einzelne von ihnen in den Schatten. Es war beinahe so, als wäre sie für diesen Moment geboren. Genau für diesen einen Augenblick.
Ihre großen, ängstlichen Augen hingegen versetzten seinem Herz einen Stich, und Devons Ausdruck zeugte deutlich davon, dass dies alles hier neu für sie war. Wenn sie unsicher war und sich unwohl fühlte, wer könnte ihr Vorwürfe machen?
Ein abscheulicher Geschmack brannte in Sebastians Kehle. Für einen kurzen Augenblick wusste Sebastian nicht, wen er mehr hasste - Justin, da er den Vorschlag gemacht hatte, Devon zu verheiraten, oder sich selbst, weil er zugestimmt hatte.
Sie hätten es ihr sagen müssen, wisperte eine leise Stimme ganz hinten in seinem Bewusstsein. Es war falsch, dass Devon es nicht wusste ... Doch sie hätte sicherlich gegen den Vorschlag aufbegehrt. So war es besser, beruhigte Sebastian sein schlechtes Gewissen, später wäre immer noch genügend Zeit dafür ...
Jäh spürte er erneut Ekel in sich aufsteigen. Großer Gott!, dachte er angewidert. Wer zum Teufel glaubten er und Justin zu sein? Sich anzumaßen, Devon retten zu wollen ...
Es war Devons erster Auftritt in der Gesellschaft, bei dem sie ihre neu erworbenen Fähigkeiten erprobte, und er warf sie den Wölfen zum Fraß vor.
Kein Wunder, dass er sich wie ein Monster vorkam.
Wie immer hatte er seine Gefühle jedoch schnell wieder Im Griff. »Das wirst du nicht«, versprach er Devon und bedeckte sanft ihre Finger mit den seinen. Er gab ihr keine Möglichkeit zu antworten oder zu zögern, sondern lenkte sie in den Salon zu den Gästen.
Und zu seiner Überraschung schritt Devon hoch erhobenen Hauptes in den Raum, als würde sie jeden Abend Besuch empfangen.
»Gentlemen, ich würde Ihnen gerne Miss Devon St. James vorstellen, eine alte Freundin meiner Schwester. Miss St. James wollte die liebe Julianna besuchen, aber leider ist sie noch immer auf dem Kontinent unterwegs. Nichtsdestoweniger hoffe ich, dass Sie mir dabei helfen werden, Miss St. James an diesem Abend auf Thurston Hall willkommen zu heißen.«
Als die drei Gentlemen Devon erblickten, schossen sie wie frisch geölte Sprungfedern vom Sofa auf. Genau wie Sebastian es vorhergesehen hatte, begann die Meute auszuschwärmen ...
Mason, ein anständiger, gut aussehender Kerl, den Sebastian bis zu diesem Moment gemocht hatte, hatte bereits Devons Hand ergriffen und sie an seine Lippen geführt.
»Miss St. James, unser hiesiger Bankier, Mr. Mason.«
»Mr. Mason, ich bin entzückt.«
Dann wandte sich der Marquess Evans zu, der eine elegante Verbeugung machte. »Wenn Ihr jemals einen Rechtsbeistand benötigt, ist Mr. Evans der Richtige.«
»Sehr erfreut, Mr. Evans.« Devon lächelte ihn überschwänglich an.
Nun riss Westfield das Wort an sich. »James Westfield, Miss St. James.« Dabei strich er die grauen Haare zurück. »Wie gefällt Euch unser Landleben?«
Devon lachte einnehmend. »Es ist wunderbar nach der erdrückenden Londoner Luft.«
Beeindruckt betrachtete Sebastian Devon und hatte nur den einen Gedanken: Nie zuvor war er so stolz auf seine Schülerin gewesen.
Gleichzeitig hatte er sich selbst noch nie so verachtet wie in diesem Augenblick.
Denn mit jeder Sekunde und jedem Wort erblühte Devons Selbstvertrauen. Wie eine zerbrechliche Pflanze hatte sie neue Triebe bekommen und genoss nun die Wärme und den Sonnenschein. Sie lächelte verzückt und plauderte wie ein Wasserfall.
Alles verlief perfekt.
Für Sebastian zog sich der Abend allerdings wie eine Ewigkeit hin. Evans, Mason und WestField blieben viel länger, als er erwartet hatte. Als die Gäste sich endlich verabschiedet hatten, zog Devon sich auf ihr Zimmer zurück. Bevor sie beschwingt eine gute Nacht wünschte, erklärte sie begeistert, dass
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